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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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verkrochen. Im Steirischen.«
    »Da gehört er doch hin. Ich danke Ihnen, Rosinger.«
    »Vielleicht Krakauebene.«
    »Donnerstags, Rosinger.«
    »Gute Nacht, Herr Fraul.«
    Rosinger verließ das Donau Weibchen. Er stellte den Mantelkragen auf, steckte die Hände in die Taschen und ging den langen Weg durch den nächtlichen Prater nach Hause. Er war fröhlich.
    27.
    Der Mai neunzehnsechsundachtzig begann mild. Gegen seine Gewohnheit war Edmund Fraul dieses Jahr mit Rosa als Zuschauer zum Maiaufmarsch der beiden Parteien KPÖ und SPÖ gekommen. Sie stellten sich ins Spalier, dem Parlament gegenüber. Rosa mochte die Maiaufmärsche nicht, ungern beteiligte sie sich Anfang der Fünfzigerjahre einige Mal daran, ließ es dann aber bleiben. Ohnedies
war ihr das politische Engagement Edmunds fremd, doch zählte sie es zu seinen Obdachangelegenheiten, in deren Mitte sie selbst überlebte. Bis neunzehnsechsundfünfzig marschierte er bei den Simmeringern mit, und danach ging er zumeist mit Bobby Heller noch auf ein Krügel ins Schweizerhaus, wo sich etliche Marschierer aus beiden Parteien an verschiedenen Tischen gegenseitig beäugten. Rosa stieß gelegentlich dazu. Als Karel zur Welt kam, war Edmund längst schon aus der KPÖ ausgetreten und nur noch beschäftigt, in den Lagerkomitees dem Ausschluss durch die kommunistischen Funktionäre zu entgehen. Bobby Heller half ihm dabei, so gut er es vermochte, obwohl er den Austritt seines Freundes heftig missbilligte. Lange sprachen die beiden immer wieder über die Ungarnereignisse; die sanfte Liberalisierung dort, die zum sogenannten Gulaschkommunismus führte, schien den Optimismus Hellers in eine lichte Zukunft des real existierenden Sozialismus zu rechtfertigen.
    Die Frauls wechselten zum Rathaus hinüber, um sich die Abschlusskundgebung der Sozialdemokraten anzusehen. Während Bürgermeister Purr seine jedes Jahr wenig variationsreiche Ansprache hielt, geriet Bundeskanzler Marits in Rage, als er von der braunen Landkarte in der Biographie des schwarzen Präsidentschaftskandidaten sprach. Die Genossen in der Menge quittierten diese ungewöhnlich temperamentvolle Rede mit gut gelaunten Appläusen. Indes begann es kurz und heftig zu regnen. Edmund zog sein Sakko aus und ließ es Rosa als Pelerine benutzen. Im Anschluss gingen sie ins Café Landtmann. Fast das ganze Lokal war von Menschen besetzt, die sich in den letzten Jahren oder Jahrzehnten von den Kommunisten verabschiedet hatten und sich nun mit unklaren Gefühlen einmal im Jahr in diesem sehr bürgerlichen Café trafen. Rosa bestellte eine Sa
chertorte, stand plötzlich auf und eilte ihrem Sohn entgegen, der mit einer elegant gekleideten Frau am Arm eben das Landtmann betreten hatte. Karel begrüßte sie, sah an ihrem Ohr vorbei und rüber zu seinem Vater, der kurz seinen Arm hob und mit dem Kopf nickte.
    »Astrid von Gehlen, meine Mutter«, sagte Karl Fraul.
    »Freut mich«, murmelte Rosa, »ich kenne Sie natürlich.«
    »Also«, machte Karl und wollte weitergehen, doch Astrid nahm Rosa freundlich in Augenschein und fragte sie nach ihrem Befinden. Judith Zischka und Roman Apolloner kamen hinzu, es knäulte zwischen den Tischen, sodass der Kellner Henning mühsam sein Tablett vorbeibalancieren musste. Schließlich löste sich die kleine Gruppe wieder auf, im Weggehen warf Judith über die Schulter noch den Satz hin:
    »Habt ihr schon von diesem Atomunglück gehört?«
    Rosa brachte diese Nachricht zu Edmund und begann mit winzigen Stückchen an ihrer Torte zu essen.
    »Aha«, sagte Edmund. »Wo soll das passiert sein?«
    »In Russland. Ein Störfall.«
    Der Regen hatte aufgehört, Edmund verabschiedete sich. Rosa blieb noch etwas sitzen. Doch wurde es ihr unangenehm, im selben Lokal wie Karel zu sein. Daheim am Radio hörte sie weitere Nachrichten über das russische Atomkraftwerk. Ausgerechnet in Czernowitz, dachte sie. Aber dort leben eh kaum noch Juden. Und auch denen bleibt nichts erspart.
     
    Edmund Fraul rief Rosinger an. Am Feiertag war der Praterer zu. Sie trafen sich im Hörndl. Rosinger saß bereits dort, als Fraul eintraf. Rosinger konnte kaum erwarten, dass Fraul Platz nahm und bestellte, er sprudelte seine Nachricht heraus:
    »Ich dachte, der Toni Egger hat sich im Steirischen verkrochen, aber das stimmt gar nicht. Er soll in Wien sein. Hausmann heißt er.«
    »Ich vergess keine Namen.«
    »Darf ich Sie fragen, was Sie eigentlich von ihm wollen?«
    »Erschießen.«
    Rosinger blieb der Mund offen. Fraul winkte

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