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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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dem Grabsteingeschäft befand, in dem außer Grabsteinen Gebrauchtwagen verkauft werden. Sie aßen beide Würstel mit Saft und tranken jeder ein Seiterl.
    Rosinger wollte Fraul wegen der Riecherei etwas fragen, unterließ es und gab sich ganz dem Gefühl hin, als hätten er und Edmund soeben einen gemeinsamen Freund begraben.
    Abrupt stand Fraul nach dem Essen auf, legte einen Geldschein auf den Tisch und ging mit kurzem Armheben aus dem Gasthaus und zum Einundsiebziger. Rosinger sah ihm nach und merkte wohl, wie der Gang Frauls etwas verzögert wirkte und sein Rücken sich krummer bog als sonst. Die Sonne war wieder verschwunden.
    28.
    Johannes Tschonkovits stand mit dem Rücken zum Schreibtisch in seinem Büro und schaute auf den Heldenplatz hinunter. Der Wahlkampf war geschlagen, die Aussichten allerdings trübe. Der Hautarzt hatte sich gut gehalten. Doch die Kampagne gegen Wais, seine Nazivergangenheit betreffend, schien die gegenteilige Wirkung zu haben. Tschonkovits hatte mit voller Unterstützung seines Bundeskanzlers die von beiden beschlossene Linie durchgezogen, hatte durchaus das Schwindelhafte und Windige, das Opportunistische des kleinen zweiten böhmischen Leutnants aufgezeigt. Leider hatten sich in diesem Wahlkampf auch Menschen beigesellt, die dem Doktor Wais durchaus Kriegs- oder Naziverbrechen vorgeworfen hatten, für die es aber nicht den geringsten Beweis gab. Politiker aus Jugoslawien hatten Öl ins Feuer gegossen, der Jüdische Weltkongress ließ einige seiner Repräsentanten Vermutungen anstellen, als hätte Wais Himmler'sche Dimensionen. Die Gegenoffensive der Schwarzen war dementsprechend wirkungsvoll. Wais werde als anständiger Österreicher ange
patzt und damit ganz Österreich. Die roten Gfrasster stellten das Land an den Pranger, machten aus ihm ein Land der Judenhasser. Das letzte Plakat für Wais erschien auf gelbem Hintergrund und warb mit den Worten: Wir Österreicher wählen, wen wir wollen. Jetzt erst recht.
    Dass Tschonkovits immer wieder bloß auf das Lügenhafte hinweisen wollte, darauf, dass er seine Biographie geschönt und die Balkanjahre zum Teil in eine Liebesgeschichte zu seiner Aglaja umgelogen hatte, dass nie behauptet wurde, Wais sei in Kriegsverbrechen verwickelt, sondern immer, wie er mit jener Zeit umging, verfing bei den Wählern offenbar nicht. Antisemitische Töne wurden wieder salonfähig, und der frühere Bundeskanzler, selbst jüdischer Herkunft, sprach düster von einem geteilten Volk und einer neuen Wirklichkeit. Zwar erklärten sich nahezu alle Künstler und Schriftstellerinnen, allen voran Gaspari und Paula Williams, gegen den schwarzen Schwindler, aber das war es eben. Umso wirksamer schlug die Linie von dem anständigen Österreicher mit dem reinen Gewissen an.
    Bundeskanzler Marits verbarrikadierte sich in seinem Büro, ließ ungern die Parteigranden zu sich und hörte sich deren Klagen mit säuerlicher Miene an, um dennoch die Linie von Tschonkovits zu verteidigen. Eben war der Hautarzt Doktor Neuner bei Marits drinnen, und Johannes erwartete jeden Augenblick, dass er nun zum Kanzler gerufen werde. So geschah es. Neuner, ein distinguierter schlanker hochgewachsener Mann in den Fünfzigern, zeigte ein betretenes Gesicht, saß auf der Sesselkante, stand sofort auf und rief Tschonkovits mit zuckenden Mundwinkeln nur einen Satz hin. »Man hat es vergurkt.«
    Sie setzten sich um den Marmortisch, Regine brachte Kaffee.
    »Immer wieder habe ich darum gebeten, mit der Vergan
genheitsbeschwörerei aufzuhören«, sagte er leise und mit einem traurigen Lächeln. Marits nickte:
    »Es war unumgänglich, Paul. Seit den Stellungnahmen des Jüdischen Weltkongresses und den antisemitischen Reaktionen waren wir gezwungen, und ich stehe dazu. Ists eine Schande, mit Antifaschismus zu streiten, statt mit Antisemitismus?«
    »Wir sind in die Falle gegangen«, sagte Neuner.
    »Noch«, sagte Tschonkovits gegen seine Überzeugung, »sind die Wahlen nicht verloren. Wenn wir die Stichwahl erreichen …«
    »Die Stichwahlen werden wir verlieren«, sagte Neuner.
    »Wer weiß das«, sagte Marits ungewöhnlich entschieden. »Wer weiß, was noch herauskommt bei unserem sauberen Wais.«
    »Und wenn herauskommt, dass er sich etwas zuschulden kommen hat lassen, werden sie ihn erst recht wählen«, sagte Neuner und steckte sich eine Zigarette an. Sogleich griffen Tschonkovits und Marits ebenfalls zu den Zigaretten, und außer dem Rauch bewegte sich eine Zeit lang nichts im

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