Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
Vom Netzwerk:
ab: »Scherz. Rosinger, Scherz. Ach, was weiß ich.«
    »Wollen Sie, dass es zu einer neuerlichen Anklage kommt?«
    »Hm. Aber das Stückl spielen sie nicht in diesem Land.«
    »Was dann, Herr Fraul?«
    »Löchern Sie mich nicht!« Die beiden schwiegen. Fraul fuhr fort: »Ich will ihn riechen.«
    Rosinger senkte den Kopf.
    »Egger soll hier im dritten Bezirk wohnen. Am Meldeamt aber nix. Auch nicht als Hausmann.«
    Während Fraul ein kleines Bier trank, blieb er still. Es war ihm irgendwie gemütlich im Hörndl. Er seufzte.
    »Ich fahr zum Zentralfriedhof. Danke, Rosinger. Wiederschauen.«
    »Oh, wer ist denn gestorben?«
    »Alle. Wollen Sie etwa mitkommen? Ich besuche einen alten Kommunisten.«
    »Wenn es Ihnen recht ist?«
    »Kommen Sie, Rosinger.« Er zögerte. »Wissen Sie was? Rufen Sie uns ein Taxi.«
     
    Während der Taxifahrt fiel kein einziges Wort. Fraul hatte neben dem Fahrer Platz genommen, Rosinger im Fond. Während sich Fraul vorne entspannt in den Sitz schmiegte und ihm die Augen zufielen, saß Rosinger hinten wie am Sprießel, angespannt und sprungbereit, als müsste er auf eine Situation vorbereitet sein, die eine sofortige Flucht nötig
machte. Warum fahre ich eigentlich mit, dachte Rosinger und schaute auf Frauls Nacken, der rötlich zwischen den Girlanden seiner grauen Nackenhaare durchschimmerte. Warum suche ich seine Nähe? Was geht mich dieser Kommunist an, den Fraul jetzt aufsucht? Und doch hatte Rosinger das Gefühl, mitfahren zu müssen, da er sich eine Art Verpflichtung auferlegt hatte, seit er in die erste Schachpartie mit Edmund Fraul gegangen war. Es gehört zum Schachspiel dazu, dachte er, dass ich zu seinen Leuten stoße, dass ich Teil seiner Leute werde. Ansonsten täte er mich bloß verachten und benutzen, damit ich ihm helfe, die alten Blutspezln aufzuspüren. Rosinger schnaufte. Lang habe ich nicht mehr an diesen Ausdruck gedacht. Hedi hat ihn nach fünfundvierzig manchmal gebraucht. Hedi. Wieso will Fraul an Egger riechen?, fragte sich Rosinger. Was riecht er denn an dem? Plötzlich durchfuhr es ihn. Er riecht auch an mir, er riecht schon die ganze Zeit an mir. Was gibts denn an unsereinem zu riechen? Am liebsten hätte Rosinger dem Taxifahrer zugerufen, er soll stehen bleiben, er muss raus und fort. Harndrang überfiel ihn. Muss er jetzt am Grab des Kommunisten stehen und von einem Fuß auf den andern steigen?
    Als sie die Simmeringer Hauptstraße entlangfuhren, öffnete Fraul die Augen. Er drehte sich mühsam zu Rosinger um.
    »Na?«
    Sie bogen zum Krematorium ab, das Taxi fuhr bis zum Eingang vor. Rosinger hielt dem Fahrer einen Fünfzigschillingschein unter die Nase.
    »Lassen Sie mich das zahlen. Ich zahl das.«
    Er war über seine eigene, fast schneidende Stimme erschrocken, sodass er ein raues »bitte schön« anstückelte. Fraul stieg aus und stellte sich breitbeinig hin, sein Blick fuhr die Krematoriumsmauer entlang. Schwalben sind da, dach
te er und begann langsam neben der Mauer außen den Weg entlangzugehen.
    »Warten Sie ein Momenterl«, sagte Rosinger und verschwand hinterm Eingang, wo es Toiletten gab. Als er wiederkam, setzte sich Fraul parallel zur Friedhofsmauer in Bewegung. Er schritt langsam genug, sodass Rosinger bald zu ihm aufschloss. Sie näherten sich dem Grab von Robert Heller, und Rosinger ließ sich wieder zurückfallen. Er blieb bei einem Grabstein stehen, auf dem der Name Wolfgang Zehetbauer stand, verschränkte die Hände vor seinem Steiß und wartete.
    Na, Bobby, dachte Fraul. Er wollte ins gewohnte Gespräch mit Bobby kommen, öffnete den Mund, aber es fielen ihm diesmal die Wörter nicht ein, die er halblaut zum Grabstein aufsprechen wollte. Er verharrte stumm und suchte in seinem Kopf nach ihnen. Rosinger dachte, dass Fraul vor diesem Grab wie eingesunken war in seiner Trauer, und überlegte, dass er selbst zu solcher Trauer bloß bei seiner Hedi fähig war. Er war erstaunt, weil ihm erst jetzt einfiel, dass die Hedi gar nicht weit von hier unter dem Ahornbaumschatten Gruppe 42A Tor zwei ruhte. Ob er nachher …
    Fraul drehte sich zu Rosinger und winkte ihn herbei. Statt nun mit Bobby zu reden, sprach er mit Wilhelm Rosinger über ihn, und während er ihn mit kurzen Sätzen porträtierte, kam die Sonne hinter einer Wolke hervor, und die beiden Männer standen im schönen Maiensonnenschein.
    Schließlich gingen sie miteinander die Simmeringer Hauptstraße stadtauswärts und kehrten in dem Wirtshaus Zur schönen Aussicht ein, welches sich neben

Weitere Kostenlose Bücher