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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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gewesen, den Hautarzt als ihren roten Kandidaten aufzustellen.
    »Der Bundeskanzler ist sauer wie die Wiesen seines Bundeslandes«, grinste Tschonkovits. »Mit ihm die Partei, der
Zentralsekretär, der Bürgermeister, wir alle miteinander. Verstehst du?«
    »No«, antwortete ich.
    »Sie wollen dem Wais etwas ans Zeug flicken«, sagte Judith Zischka und holte sich eine Zigarette aus der Packung.
    »So ists«, sagte Tschonkovits und gab ihr Feuer.
    »Kindisch«, fand ich. »Andere Sorgen haben wir keine.«
    »Was für Sorgen, Roman, hast denn du?« Tschonkovits lehnte sich zurück und sah auf den Plafond.
    »Nicht deine.« Mir stieg das Blut in den Kopf, und ich sagte zu ihm glatt und leise: »Weißt du, wie mich das alles anwidert? Da wachsen wir auf im Nachkrieg unter den Blicken einer zugleich stummen und verlogenen Generation. Wie die sich herausputzten, nachdem sie erst dem Führer zugelaufen waren, auf sein Geheiß sowohl die Andersdenkenden denunziert, die Juden verjagt und umgebracht hatten oder es billigend in Kauf genommen hatten, bis Stalingrad gelatscht waren oder in den Bombennächten mit vollgeschissener Wäsche in den Kellern gesessen sind, die Gräuel gesehen, mitgemacht, erlitten hatten, und als der Krieg zu Ende war, sich eben herausputzten und schwiegen. Sie schwiegen uns alle frech ins Gesicht, diese verbrochene und zerbrochene Generation. Im Zuge dieses Herausgeputzes schau dir doch die Politiker an. Das Gelüge, die Machtspiele, das hohle Reden, diese Grundfeigheit, alles eine Folge der österreichischen Staatslüge, damit die sich alle herausputzen: Wir Österreicher, das erste Opfer Hitlers, wir Österreicher, die im Herzen immer Österreicher waren, zwar Heil Hitler gerufen, aber O du mein Österreich gedacht haben.«
    »Nette Rede«, sagte Tschonkovits lässig. »Wusstest du, dass Wais der von dir soeben trefflich beschriebene Prototyp eines Österreichers ist, und zwar in seiner Eigenschaft als
Feigling? Bei der Niederschlagung des Prager Frühlings hat er als Außenminister die Anweisung erteilt, die Botschaft in Prag zu schließen und keine Flüchtlinge aufzunehmen.«  
    »Na und?«
    »Das wollen wir ihm reindrücken. Wir möchten auch, dass die Kulturschaffenden keinen Präsidenten haben wollen, der ganz ohne Zivilcourage auskommt.«
    »Ihr möchtet, ich möchte«, sagte Judith.
    »Ja, ich will das«, sagte Tschonkovits und lächelte breit. »Vor allem möchte ich, dass ihr mitkommt ins Hawelka.« Und er begann an den Fingern herzuzählen, welche Künstler und Schriftsteller da sein würden. Als er auch ein paar Burgschauspieler nannte, gewahrte ich ein Glitzern in Judiths Augen. Ich bemerkte an mir irritiert, wie rasch sich der Zorn von mir verabschiedete, dass mir im Grunde mein eigener Ärger und Ekel gleichgültig war, als hätte mich eine Kälte sowohl beiläufig als auch gründlich angeweht.
    »Na schön«, murrte ich. »Dann danke ich dir, Johannes.«
    Und sah Karl Fraul bei der Tür reinkommen. Er blickte sich mit halbgeschlossenen und zugleich irgendwie leuchtenden Augen im Lokal um. Ich nickte ihm zu, aber er reagierte nicht, als würde er durch mich durchsehen. Fraul schwankte im Stehen, indes er das Windhaag nach jemandem abzusuchen schien.
    Tschonkovits zahlte die Rechnung. In einer Stunde sollten wir uns einfinden. Wir beschlossen, nachdem wir den an der Bar sich anhaltenden Fraul eine Weile beobachtet hatten, ein bisschen spazieren zu gehen. Untergehakt gingen Judith und ich durch den dunklen, nebeldurchzogenen Stadtpark.
    »Es fühlt sich so an, als wenn wir miteinander gehen würden«, sagte Judith.
    »Wir gehen doch miteinander, da am Kursalon Hübner
vorbei«, sagte ich. Judith schwieg. Ich sah sie von der Seite an. Ihr Gesicht wirkte verspannt.
    »Immer Stress machen, wie«, sagte ich.
    »Vergiss es«, erwiderte sie.
    »Entschuldige«, sagte ich. Ich drückte ihren Arm und lächelte. Vorm Hawelka stand Tschonkovits, ein Türsteher der Sonderklasse. Als wir ankamen, sahen wir noch die Rücken von Felix Dauendin, Dietger Schönn und Astrid von Gehlen, die das Lokal betraten.
    »Alsogleich hintennach.« Und Tschonkovits wies uns ein.
     
    Karl Fraul stand schon eine Weile im Windhaag herum. Wen suche ich eigentlich, fragte er sich und begann schließlich von der Bar ins Innere des Lokals zu torkeln, denn der Rausch hatte sich breit in ihm festgesetzt und wirbelte in seiner Blutbahn, dass es eine Schande war. Fraul stieß die zwischen den Tischen Stehenden an, versuchte

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