Der Kalte
hereingekommen«, flüsterte Rosa.
»Durch die Tür, dumme Frage«, lachte Gusti, drehte sich um die Achse, sodass ihr Glockenrock flog. »Nicht die Zeit verschlafen. Raus, gehen wir raus, gehen wir tanzen, gehen wir in die Adebar oder ins Atrium , los, los.« Und Gusti klatschte in die Hände. Rosa sprang auf.
»Gleich, Gusti, gleich.« Sie lief ins Badezimmer, wusch sich Hände und Gesicht, strich sich die Lippen an, eilte ins Schlafzimmer, daweil Gusti beim Fenster stand und auf die Uhr guckte. Rosa zog sich den schönsten Rock an, suchte eine hellblaue Bluse dazu, wühlte in der Lade nach der Schmetterlingsbrosche, rief hinaus: »Gleich bin ich da, gleich bin ich hier.« Fast hätte sie sich in den Finger gestochen, endlich war sie fertig, lief ins Wohnzimmer zurück. Es war dunkel geworden draußen, und vom Fenster herunter hing Gusti am Strick und pendelte sacht hin und her. Rosa stand auf vom Stuhl; neben dem Blumentisch öffnete sich der Fußboden, und sie konnte tief hinunter auf eine Schneise blicken. Aus dem Leichenberg, der quer zur Richtung der Schneise lag, ragte eine Hand heraus, und aus der Hand streckte sich der Zeigefinger in Rosas Richtung und bog sich, streckte sich und bog sich. Rosa spürte ein Ziehen, als ob der immer mehr klaffende Fußbodenspalt sie zur Schneise hinunterschlucken würde. Sie begann zu stöhnen und sich mit den Händen an ihrem Brustkorb festzuhalten. Das Zimmer drehte sich, Rosa glitt langsam zu Boden.
»Edmund«, wimmerte sie. »Edmund, mein Liebster.«
Edmund Fraul war bereits bei der Rotundenbrücke. Da ging ihm etwas durch den Sinn, als hätte er was vergessen, er tastete nach seiner Brieftasche, nach dem Schnäuztuch, spürte wohl auch den Hut am Kopf, dennoch blieb er abrupt stehen. Ein Spaziergänger mit Hund sah ihn erstaunt an, der Rauhaardackel hob an, Fraul von unten anzuwinseln, sodass der Mann den Hund weiterzog. Fraul schaute dem Dackel nach, drehte sich um und ging wieder den Weg neben dem Donaukanal stromabwärts zurück. Bei der Überfuhr gewahrte er den Fährmann, der trotz des ungemütlichen Wetters auf der Böschung saß und rauchte. Als der kleine Robert, so nannten die Leute hier den Betreiber der Überfuhr, die Zigarette in hohem Bogen in den Fluss warf, verlor er dabei das Sitzgleichgewicht, fiel zur Seite und rülpste. Fraul bog vor ihm ab, überquerte die Straße und stand wiederum vor dem Praterer. Er überlegte, ob er durch eines der Fenster hineinlinsen sollte, fasste stattdessen die Eingangstür, zog sie zu sich und kam in die Gaststube zurück.
»Was vergessen?«, fragte Vickerl. Edmund bejahte und sah zum Tisch von Rosinger. Dort saß niemand. Er ging vor zu dem Tisch, an dem er sonst immer gesessen war und an dem auch keiner hockte, schaute auf die Sessel und auf den Fußboden. Dann sah er den sich nähernden Ober an. »Nichts, nichts«, sagte er ihm, bevor dieser sich erkundigen konnte, was Fraul denn suchte. Edmund wies mit der Hand zu einem der Fenster.
»Draußen auf der Böschung liegt der kleine Robert. Vollfett.«
»Deswegen liegt er draußen«, versetzte Vickerl gleichmütig, »er soll seinen Rausch in seinem Hüttel ausschlafen, nicht bei mir.«
Edmund tippte sich auf den Hut und verließ den Praterer.
Ein unangenehmes Gefühl beschlich ihn, während er heimwärts dahinging, als sei mit ihm etwas nicht in Ordnung, als käme ihm irgendwas in die Quere, von dem er womöglich nichts ahnte. Du hast es jetzt gut, Bobby, dachte er und wunderte sich über diesen Gedanken, sann ihm nach und musste sich eingestehen, dass er eine Süße in sich barg. Mit halbleerem Kopf unter seinem Hut strebte er seiner Wohnung zu.
26.
Margit Keyntz ging ihrer Arbeit nach, als sei nichts geschehen. Sie erschien pünktlich, zog sich um, genoss nach wie vor den weißen Mantel mit Stethoskop als besonderen Ausdruck ihres Daseins. Ihre Herzlichkeit durchdrang die ganze Station, sie steckte mit ihrem fröhlichen Gebaren die Mitarbeiter an. Auch die Patienten, die in ihren Betten mit nicht unbeträchtlichen gesundheitlichen Unannehmlichkeiten zu kämpfen hatten, schienen sich aufs Neue und frisch ihres Lebens zu erfreuen, sobald sie ins Gesicht der jungen Turnusärztin blickten. Die von der Grundausstattung her eher mürrische Oberärztin Inge Haller begann sich, obwohl dies eigentlich außerhalb ihrer Reichweite lag, mit Margit anzufreunden. Erstaunt sah sich die Einzelgängerin und leidenschaftliche Junggesellin selbst dabei zu, wie sie Margit mehr
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