Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
Vom Netzwerk:
er. »Eitel. Keine ganz harmlose Mischung. Auch heute noch nicht. Die wahren Sieger.«
    »Ah geh.«
    Plötzlich sah Judith hinter den Ohren von Apolloner Astrid von Gehlen mit Karl Fraul hereinkommen. Sie starrte der Gehlen ins Gesicht, sodass Apolloner Judiths Blick folgte und den beiden entgegenschaute. Fraul ließ mit seinen beweglichen Mundwinkeln ein flinkes Lächeln entstehen, er grüßte zu Apolloner hin und fuhr der Zischka im Vorbeigehen tätschelnd über den Rücken. Das ignorierte sie und entbot dezidiert, aber dezent der Gehlen einen Gruß.
Das Paar ging vorbei und nach hinten zu einem Nischentisch.
    »Willst dich dazugesellen?«, fragte Roman und drehte sich weg.
    »Lass uns zwei noch da ein bissl stehen. Einverstanden?«
    »Was trinkst du?«
    »Dasselbe wie du.«
    »Zwei Achtel Rot.« Als die Gläser kamen, stieß sie ihres gegen seines. Sie grinsten.
    Gegen elf war das Pick Up voll. Vor der ersten und der zweiten Bar klumpten sich die Menschen zusammen, manche standen im Wintermantel mit aufgestelltem Kragen und dem Weinglas in der Hand vorm Eingang. Roman trank sich mit Judith mehr und mehr in den Abend hinein. Er fand sie von Minute zu Minute attraktiver, sodass er sie schließlich an die Theke drängte und küsste. Sie küsste ihn zurück, und sie begannen zu schmusen, obwohl sie inmitten quatschender Leute standen. Das Gequatsche wurde immer leiser und schien ganz aufzuhören, sodass Apolloner lediglich die leisen Geräusche wahrnahm, die bei den Küssen entstanden.
    Jemand rempelte ihn an der Schulter an. Sein Mund rutschte aus dem Mund von Judith, er spürte, dass eine Wut in ihm aufstieg. Schon wollte Roman auf den Rempler einschreien und zurückrempeln, da bemerkte er, dass der Bürgermeister von Wien neben ihm stand.
    »Bumm, da ists voll«, sagte der zu seinem Begleiter, dem Bildhauer Herbert Krieglach.
    »Gemma wieder auße, Burgermasta«, sagte der, fasste den Bürgermeister im Nacken, und die beiden verließen alsogleich das Lokal. Apolloner wandte sich wieder Judith zu, und sie machten weiter.
     
    Der Bürgermeister und der Bildhauer gingen schwankend und bestens gelaunt die Operngasse hinunter.
    »Es gibt etliche Plätze, wo man aufstellen könnte«, sagte Krieglach. »Einen Moment.« Er löste sich vom Bürgermeister, blieb zwischen zwei parkenden Autos stehen, bückte sich und spie auf das Kanalgitter, holte sein rotkariertes Taschentuch hervor, wischte sich den Mund ab. »Geht schon wieder«, sagte er fröhlich und zog den Bürgermeister weiter.
    »Hinter der Sezession, im Garten, aber da sieht's ja keiner«, nuschelte Krieglach und blieb vor dem Gebäude stehen. Der Bürgermeister schüttelte den Kopf, lachte auf und schüttelte wiederum den Kopf, zog den Bildhauer vom Gebäude weg. »Folge mir«, verkündete er und ging im Schwankschritt an der Oper vorüber. Einige Passanten verbeugten sich vor ihm, er fuchtelte leutselig mit beiden Armen als Antwort, bemühte sich gar nicht, seine Trunkenheit zu verbergen. Die Wiener lächelten liebevoll ihren Bürgermeister an und blickten ihm hinterdrein, als er mit seinem Bildhauerfreund am Albertinaplatz eintraf.
    »Da stell mas her, Herbertl. Da her. Nirgends sonst.«
    »Das lass ich mir gefallen, Bürgermeister. Mein Denkmal auf die Philipphofgründe.«
    »Ja, da drauf.« Der Bürgermeister betrat tänzelnd den Rasen, wippte einige Mal in den Knien und rief: »Auf die Bombentoten vom Philipphof drauf. Dein Denkmal gegen Krieg und Faschismus. Da stellen wir es her.«
    23.
    Edmund Fraul verließ das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands, nachdem er dort einige Akten vom Naziverbrecherprozess gegen Franz Murer aus dem Jahr neunzehndreiundsechzig eingesehen hatte. Zudem war er in ein längeres Gespräch mit einer Archivarin verwickelt gewesen, die sich über die trüben Aussichten äußerte, die Mörder jetzt noch einer gerechten Strafe zuzuführen, um gleich einige deprimierende Bemerkungen über ihren eigenen Gesundheitszustand hinzuzufügen. Fraul hörte mit freundlichem Gesicht zu, indes ihm ihre Klagen lächerlich und unangebracht vorkamen und er sich fragte, warum diese mausgraue und ausgetrocknete Person ihn zum Objekt solcher Jeremiaden auserkoren hatte. Nun ging er mit ausdrucksloser Miene zum Sillinger, weil er von Rosa noch eine Halskette, bereits in Geschenkpapier verpackt, entgegenzunehmen hatte. Die würde er zu seiner heute vierundneunzig Jahre alt gewordenen Mutter bringen. Er ging durch die kleine grüne Tür

Weitere Kostenlose Bücher