Der Kalte
Franziska ihre Augen auf und sah die geschlossene Tür an.
Ohne zu wissen warum, ging er diesmal wieder zum Praterer, obwohl heute eigentlich das Hörndl dran gewesen wäre. Er sah den Wilhelm Rosinger am Tisch neben dem Fenster sitzen. Er trat sofort zu ihm hin. »Grüße Sie, Herr Rosinger«, sagte er und blieb vor ihm stehen. Rosinger schaute auf und sagte leise: »Dorten waren wir per Du.«
»Beim Prozess aber per Sie«, antwortete Fraul. Rosinger deutete auf den Sessel gegenüber, und Fraul nahm Platz.
»Beim Prozess ists höflich zugegangen. Jaja. Da waren alle per Sie«, sagte Rosinger.
»Was tun Sie hier?«, sagte Fraul. »Wohnen Sie noch immer drüben? Ich hab Sie seit damals nicht mehr gesehen.«
»Eigentlich gehe ich nicht aus. Aber ich habe dich, ich habe Sie vor einiger Zeit beim Hörndl bemerkt, da war ich zufällig einmal einen alten Freund treffen, na ja Freund; wir haben Fressschach gespielt nach langer Zeit wieder. Und vor vierzehn Tagen hier, das wissen Sie.«
Fraul stand wieder auf, zog seinen Mantel aus, hängte Hut und Mantel auf den Haken, fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, drehte sich zur Schank. »Vickerl, ein Seitl.«
»Zwei«, sagte Rosinger.
Als der Kellner das Bier brachte, hoben beide Männer es gleichzeitig zu den Lippen, ohne sich zugeprostet zu haben. Sie bestellten beide das kleine Menü und aßen es schweigend auf. Von Zeit zu Zeit sahen sie sich ins Gesicht, Fraul ruhig und unbewegt, Rosinger mit kleinen, aber merklichen Zuckern.
»Habe die Ehre, Rosinger«, sagte Fraul, nachdem er sich mit der Serviette den Mund abgewischt hatte und aufgestanden war.
»Auf Wiedersehen, Herr Fraul«, antwortete Rosinger und erhob sich ebenfalls. Sie standen sich gegenüber, Fraul deutete eine leichte Verbeugung an, drehte sich um, und nachdem er sich den Mantel angezogen und den Hut aufgesetzt hatte, ging er zur Theke vor, bezahlte seinen Teil der Rechnung und verschwand. Rosinger sah ihm nach, setzte sich wieder nieder und senkte den Kopf.
Jaja, dachte er. Jaja.
24.
Ich war daheim und am Überlegen, wie ich mir jetzt die nächsten Tage einteile. Seit erstem November war ich fixer freier Mitarbeiter beim Signal, machte nun ausschließlich Beiträge zur Zeitgeschichte, während Judith Aussicht hat, sich mehr in der Kultur zu bewegen, weil die Gartner gekündigt hatte. Als ich so vor mich hin papierlte, rief mich Johannes Tschonkovits an. Was kann der wollen, dachte ich, jetzt, wo er so wichtig geworden war, als Chef des Küchenkabinetts unseres Bundeskanzlers.
»Apolloner«, rief Tschonkovits mit heller und lauter Stimme ins Telefon, »pack dich zusammen und komm ins Windhaag. Hast du Zeit? Du musst Zeit haben, ich will mit dir wohin gehen.«
»Ich gehe nirgends hin«, antwortete ich ihm.
»Es ist so«, sagte Tschonkovits und senkte seine Stimme, dunkelte sie gleichzeitig etwas ein, »heute ist im Hawelka eine geschlossene Gesellschaft. Ich habe für den Kanzler einen Haufen Kulturmenschen eingeladen. Er will sich
zwanglos unterhalten. Du bist doch jetzt ein Zeitgeschichtler, da komm doch dazu, aber vorher will ich dich noch allein treffen.«
»Ich kann nicht. Ich erwarte Besuch.«
»Nimm sie mit, Roman. Würd ich dich anrufen, wenn es nicht wichtig wäre?«
»Wichtig für wen?«
»Für dich, für mich, für den Kanzler.«
»Ja, freilich, für den Kanzler wäre es wichtig, wenn ich zu seinem Kulturstammtisch anrolle.«
»Wenn ichs dir flüstere«, und Johannes begann tatsächlich mit Flüstern. Ich beschied ihm zu warten und legte auf. Warum eigentlich nicht? Warum schon? Ach was. Ich rief Judith an, die in einer Stunde bei mir sein wollte. Wir beschlossen nach minutenlangem Hin- und Hergewälze, den Tschonkovits zu treffen.
Als wir ins Windhaag kamen, stand er von seinem Tisch auf. Ich stellte ihm Judith vor, er gab ihr die Hand und teilte mir mit, dass er sie schon lange kannte, ich sah Judith an, sie nickte. Wir setzten uns, und Tschonkovits begann uns zu erläutern, wie der Bundeskanzler und seine Partei verärgert wären, weil die Schwarzen sie beim Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten reingelegt hätten. Es wäre schon paktiert gewesen, dass der ehemalige Generalsekretär der UNO ein gemeinsamer Kandidat der beiden großen Parteien werden sollte. Durch ein Intrigenspiel innerhalb der Volkspartei sei es so gekommen, dass eine Landesorganisation den Johann Wais als ihren Kandidaten öffentlich gemacht habe. Dadurch seien die Sozialdemokraten gezwungen
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