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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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gesehen hatte, einen Wunsch frei hätte. Es war zwar außer ihm diesmal keiner im Wagen, aber dennoch hatte der Wunsch in Erfüllung zu gehen, den er nun in Richtung Windschutzscheibe flüsterte. Der Raimund soll seinen Roman verschieben und eine Bombe zünden. Er knipste das Autoradio an und ließ den Kassettenrekorder laufen, hörte sich Schuberts Streichquartett »Der Tod und das Mädchen« an. Beim zweiten Satz kamen ihm die Tränen, sodass er rechts heranfuhr und auf den Parkplatz, der wie gerufen ihm entgegenkam, als er zu bremsen begann.
    Seine Frau stammte aus Wien. Nach der Heirat gab sie das Bratschespielen auf und zog mit ihm von Stadt zu Stadt, je nachdem wo er engagiert war. Sie freute sich sehr, als er ans Burgtheater gerufen wurde. Mitten in den Übersiedlungsvorbereitungen erkrankte Erna Schönn an Bauchspeicheldrüsenkrebs und starb vier Monate nach Kenntnis der Diagnose. Dietger begrub sie in Köln und trat hernach seinen Dienst in Wien an. Er hing an ihr bis zuletzt, auch wenn er sie ständig betrog. Doch einer jeden Geliebten versicherte er von Anbeginn, dass er seine Frau liebe und niemals verlassen werde. Kurz vorm Sterben hatte Erna ihm gesagt: »Wenn du Wien verstehen willst, ich meine wirklich be
greifen, dann musst du Schubert hören.« Nun saß er in seinem Wagen und schluchzte. Schließlich stieg er aus, ging auf die Toilette und fuhr hernach weiter.
     
    Muthesius war heute spät aufgestanden. Nächtens konnte er sich bloß hin und her wälzen, die Träume fuhren ihm wie Lichtblitze ins Dunkel seines Schlafes und zerrissen ihn aber und abermals. Er musste etliche Male seine Blase entleeren. Hernach hockte er in der Bauernstube unterm Serpentinkruzifix, löste Kreuzworträtsel, bis ihm die Augendeckel herunterklappten. Nun saß er vor den Spiegeleiern mit Speck, die ihm seine Haushälterin mit dem Satz »Ihre Schonkost, wie gewünscht« hingestellt hatte. Er hatte es ihr mit einem kurzen Heben der Augenbrauen gedankt, hernach war er, während er das Frühstück zu sich nahm, ins Nachdenken über die Träume versunken. Der späte Vormittag ging hin, endlich holte er seinen Jägeranzug aus dem Kasten, breitete das Hemd und das Gilet auf dem Bett aus, stieg in die Badewanne, da Martha ihm achtunddreißig Grad warmes Wasser eingelassen hatte. Als er schließlich beim Anziehen feststellen musste, dass am linken Ärmel der Knopf fehlte, rief er nach ihr, deutete aufs Hemd und verließ den Raum. Auf der Toilette las er weiter in den Gedichten von Oskar Loerke. Seine Laune war schlecht und wurde immer schlechter, denn er konnte den wesentlichen Traum nicht und nicht aus dem Vergessensspeicher herausziehen. Er ging an der nähenden Haushälterin vorbei zum Sofa im Gästezimmer und legte sich hin, als könnte er durch dieses Nickerchen den Traum wiederherstellen und neuerlich ablaufen lassen. Mittags erschien er im Café Central, unterhielt sich mit dem Lehrer und dem Pfarrer, die ihn beide während des Redens abwechselnd nicht eben unaufdringlich musterten. Sie wussten aber, dass sie ihn auf
seinen neuen Roman nicht ansprechen durften, so bestellten sie ihm und sich Slibowitz und gingen bald zum jeweiligen Mittagessen. Muthesius machte seinen Spaziergang auf dem Friedhof, langte gegen zwei Uhr daheim ein, sah bereits vor dem Eintreten den Volvo vorm Haus stehen. Im Wohnzimmer saß Schönn und stand auf, als Muthesius hereinkam. Stumm und lange umarmten sich die beiden. Sie hockten sich an den Tisch und heckten einen Plan aus, der sich von Schönns Vorstellungen kaum unterschied. Muthesius stimmte zu und bekräftigte und nickte. Er würde ein Stück schreiben, welches den katholischen Nazis in Österreich den Spiegel vorhielt. Er würde es aus der Sicht einer emigrierten Geigerin, die nach Jahrzehnten zurückgekehrt war, schildern. Aber FRIEDENSZEIT würde er das Stück nicht nennen. In einem Monat würde er es abgeben. Der Roman sollte sich zum Teufel scheren.
    Martha brachte den beiden je einen Obstler, hernach feilschte Muthesius das Honorar für den Stückauftrag aufs Doppelte hinauf und kam bei der Summe an, die Schönn sich im Voraus ausgerechnet hatte. Als Muthesius über die Besetzung zu sprechen begann, setzte sich Schönn noch bequemer in den Sessel als davor schon und nickte bei jedem Vorschlag.
    Am Rückweg fuhr Schönn beschwingt und vorsichtig zugleich. Das Stift Melk empfing ein dankbares Lächeln, im Kassettenrekorder lief das Rosamunde-Quartett, sodass ihm die Schönbrunner

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