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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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März.«
    »Das reicht.«
    »Schade, schade. Woran schreibst du?«
    »Schwalbenschwanz.«
    »Wirds?«
    »Ein Sauschmarrn wirds. Ein elegisches Gequake.«
    »Ah geh.«
    »Noch was?«
    »Fröhliche Ostern.« Und wir legten auf.
    Zurück am Tisch, begann ich in den Worthaufen zu blättern, aus denen ich die Elegie von den schlingernden Schwalbenschwänzen herausgraben wollte. Seit Tagen versuchte ich aus den diversen Satzsalaten im Notizbuch etwas zu generieren. Ich kam mir schon vor wie der Esel Buridan vor seinen verschiedenen Heuhaufen. Auch ich drohte vor den nahrhaften Buchstabengerichten zu verhungern, weil ich mich zu nichts entschließen konnte. Das Wort Nackengabel sowie die unlängst entdeckte Ameisenstraße in meiner Küche brachten mich endlich auf den Schwalbenschwanz, den der saure Regen zum Schlingern bringen wird. Öd das Ganze, weil ich das Geseire über Umweltverschmutzung für übertrieben halte. Sollte die Elegie ein satirisches Element enthalten? Katastrophenlust der Kleinbürger? Saurer Regen – süße Feste? Partygäste torkeln auf die Wiese vorm Haus, fallen ins Gras und schnarchen. Auf die offenen Münder fallen Blätter, dem Hausherrn kommt ein sterbender Schwalbenschwanz ins Maul. Ein Gast fällt rücklings auf eine achtlos herumliegende Heugabel. Der Stiel hebt sich und bildet mit dem Rasen einen Winkel von sechzig Grad, der Besoffene kommt auf den Zähnen der Gabel mit seinem Nacken zum Ruhen. Aus dem Mund strömt ein Duft, der die Ameisen zwingt, um den Selbstvergessenen herum ihre Straße zu bilden.
    So stocherte ich schon eine Stunde und mehr an dem Gebilde herum, las zwischendurch den Kurier, fragte mich, was das alles sollte, statt mich an die Konzeption des Ro
mans zu machen. Ich hatte meinem Verlagslektor Maier-Loschewitz bei der letzten Buchmesse das Manuskript meiner Novelle »Als da kamen« gezeigt, eine Petitesse von fünfzehn Seiten. Jetzt kam der Brief vom Verleger Karlsen selbst, ich möge das vortreffliche Ding zu einer großen Erzählung aufblasen. Dabei haben mir die fünfzehn Seiten bereits das Äußerste abverlangt.
    Ich lehnte mich zurück, schaute auf das Geschriebene. Während ein leichtes Ekelgefühl in mir hochstieg, drehte ich den Kopf, um wieder mal aus dem Fenster zu blicken. Da kam mir ein Gedanke: Prolog. Nimm die Novelle als Prolog. Kaum war der Gedanke da, kam der nächste: TAUSENDSCHÖN . Eine Erzählung aus dem wilden Wien. Ich nickte mir selbst zu, wollte mich der Elegie wieder zuwenden, da erschien der Mann wiederum. Er kam, die Hände in den Manteltaschen, aus der Geologengasse, blieb aufs Neue vor meinem Fenster stehen und schaute mir ins Gesicht. Ich musste lächeln. Unter seinem Hut schlohweiße Haare. Er ging weiter und davon. Ich nahm den Kuli und begann mit den Zeilen: »Gegen Ameisen hilft die Nackengabel nicht immer. Die Raupe flieht ins Reisig. Einst wird sie hier wieder landen, ein schlingernder Schwalbenschwanz.« Zu klappte ich das Notizbuch. Ich ging zum Telefon und rief den Katz an.
    »Hast du noch die Karten? Fein. Ich nehme sie. Ich weiß, es beginnt um halb fünf. Hinterleg sie im Pick Up. Man dankt.«
    Ich zahlte und ging. Ein verlorener Tag.
     
    Der kommt mir bekannt vor, dachte Edmund Fraul, als er am Rückweg vom Pensionistenheim seiner Mutter wiederum entlang des Donaukanals von der Stadionbrücke flussaufwärts ging, bei der Rotundenbrücke abbog, die Ra
sumofskygasse hinaufging und in einer plötzlichen Eingebung in die Hörnesgasse einbog, um unter dem Fenster Rosingers in der Geologengasse zur Marxergasse zurückzugehen. So lugte er abermals durchs Fenster des Zartl, und wiederum schaute er direkt in die dunklen Augen des Menschen, der vor seinem Notizbuch saß und ihn just im selben Moment gemustert hatte. Fraul spürte das offene Lächeln auf dem Gesicht, und er wandte sich ab, wartete an der Kreuzung das Ampelgrün ab, um danach wieder die Löwengasse zurückzugehen. Schaut jüdisch aus, kein Nazispross. Wo habe ich dieses Ponem gesehen und wann?, dachte er. Denn Frauls Gesichtsgedächtnis war phänomenal und hatte ihm das Leben gerettet oder dazu beigetragen, dass er die tödlichen Fährnisse der Internierungs-, Konzentrations- und Vernichtungslager zu überleben vermochte. Er zuckte die Achseln und wandte seine innere Aufmerksamkeit dem Anton Egger zu, welcher zur Empörung des antifaschistischen Lagers von den Geschworenen freigesprochen worden war. Er hatte seinerzeit auf Ersuchen von David Lebensart einige Zeugen für

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