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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Kanzleramt.
    7.
    Rosa hatte ihren Infarkt gut überstanden. Seit zwei Wochen ging sie zur Arbeit, nahm ihren Platz hinter der kleinen Tür bei Sillinger wieder ein. Hugo Sillinger hatte sie mit einem Blumenstrauß begrüßt, die Arbeitskollegen und -kolleginnen standen um den Chef herum, und alle hatten sie ein und dasselbe Lächeln um den Mund, mild schauten sie der verlegenen Rosa zu, wie sie die Blumen entgegennahm. Eine Kollegin lief um eine Vase. Schließlich saß Rosa vor den Rechnungen. Sie bemerkte, dass in ihrer Abwesenheit jemand ihre Arbeit ordentlich, fast akkurat erledigt hatte. Sie musste die Stirn runzeln, einen Moment befiel sie ein Gefühl der Schwäche, sie sah sich einen Augenblick von oben auf ihrem Sessel sitzen, und gleich darauf war dieser Sessel leer. Sofort danach kehrte ihr Blick zurück und streifte die Ordner im Regal, senkte sich zu dem aufgeschlagenen, der auf ihrem Schreibtisch ruhte.
    Wenn sie nun tagtäglich nach der Arbeit das Geschäft verließ, verhielten sich die Gedanken in ihrem Kopf anders als früher. Sie zogen geordnete Bahnen, als würde jeder einzelne von ihnen genau wissen, was seine Bestimmung und sein Weg ist. Obwohl auch Rosa schmerzlich spürte, dass Edmund von Woche zu Woche mehr sich verschloss, als würde er sich bedächtig, aber unablässig eine zusätzliche Haut übernähen, blieb ihr Kopf klar wie nie zuvor außerhalb der Buchhandlung oder unter Edmunds Obhut. Die
Gedanken an ihren Sohn waren im Unterschied zu den Gedanken an sich und ihr vergangenes Schicksal diszipliniert und ließen sich kommandieren. Diese Sohngedanken würde Edmund nicht Ameisen nennen. Es sind keine Ameisen, dachte Rosa und schüttelte den Kopf. Es sind gewöhnliche Gedanken, die dazu da waren, jeden Moment Karl zu verteidigen, zu bewahren.
    Sie sperrte die Wohnung in der Hollandstraße auf. Mitten im Vorzimmer blieb sie stehen und begann in die Wohnung hineinzuhören. Edmund kann doch nicht hier sein, dachte sie, aber sie spürte, dass jemand im Schlafzimmer war. Hörte sie das Atmen, oder wird jetzt gleich Gusti Blum im Türrahmen erscheinen? Bleib, wo du bist, flüsterte es in ihr. Sie ging zögernd auf die Schlafzimmertür zu, öffnete sie einen Spalt. Sie sah ihren Sohn eingeringelt auf Edmunds Seite des Ehebettes liegen. Sein Schnarchen war eher ein Schnurren, regelmäßig und wie aus dem ganzen Körper kommend. Leise ging Rosa zum Bett hin, blieb stehen und versuchte an Karls Schläfe vorbei seinen Gesichtszug wahrzunehmen. Gleichzeitig glich sie ihren Atem dem seinen an. So stand sie, ein Wachturm, neben dem Bett und wartete, ob Karel ihre Anwesenheit zu spüren begann, wartete geduldig, bis er sein Schnurren beendete und die Augen öffnete.
    »Geh weg, Papa«, flüsterte Karl und richtete sich auf. Rosa lächelte und setzte sich auf die Bettkante. Der Geruch von Alkohol kam ihr in die Nase.
    »Mama«, sagte Karl Fraul und verzog sein Gesicht, »ich hab den Schlüssel ausgekramt, den du mir letztes Jahr gegeben hast. Du hast ihn mir doch heimlich gegeben?«
    »Nicht heimlich.«
    »Weiß er davon?«
    »Das nicht. Willst du Kaffee?« Karl nickte und ließ den
Oberkörper ins Bett zurückfallen. Als Rosa das Schlafzimmer verließ, hörte sie leichtes Schluchzen. Sie zögerte, ging hernach weiter in die Küche und schraubte die italienische Espressokanne auf.
     
    Nach wüsten Träumen verfügte ich mich heute vormittags ins Zartl. Mein Lieblingsplatz war frei. Ich konnte durchs Fenster die Ecke Marxergasse und Geologengasse beobachten. Kaum saß ich und hatte den Kaffee vor mir, rief Wanda, die jugoslawische Serviererin: »Herr Hirschfeld, Telefon!« Ich war im Begriffe, mir mein schwarzes Notizbuch zurechtzulegen, hatte, bevor ich mich erhob, noch aus dem Fenster geblickt und direkt in die blauen Augen eines Mannes, der unter seinem Hut aufmerksam von draußen erst auf mich, dann auf meinen Kaffeehaustisch schaute. Ich nickte ihm zu, wandte mich ab und ging zum Telefon neben der Bar.
    »Institut Sarg und Nagel«, sagte ich in den Hörer.
    »So witzig schon am Vormittag?«
    »Servus, Emanuel.«
    »Störe ich?«
    »Natürlich.«
    »Bist du grad im Schreiben?«
    »Was denn? Ich sitz ja im Zartl. Um was dreht sichs?«
    »Ich habe heute eine nicht zu verschiebende Sitzung, sodass ich nicht in die Oper gehen kann. Willst du meine Karten?«
    »Kommt drauf an. Was geben sie?«
    »Ein kurzweiliges Ding. Parsifal.«
    »Da hab ich schon Karten. Zu Karfreitag.«
    »Das ist doch erst Ende

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