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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Eggers Untaten in Israel gesucht, war wenig hoffnungsfroh zurückgekommen angesichts der Verfallenheit der beiden Männer, die er aufgetrieben hatte. Während er sich den Prozess wieder ins Gedächtnis rief, strebte er seiner Behausung zu, wobei sein Unbehagen mit jedem Schritt wuchs. Was ist denn geschehen, dass ihm Rosa zunehmend gleichgültig wurde? Ihr Bestreben, Karel vor allem und jedem in Schutz zu nehmen, stieß ihn ab. Es ist doch zu dumm, dachte er. Da bringt sich eine Frau um wegen nichts und wieder nichts, und sein Herr Sohn hat nichts Besseres zu tun, als sich die Schuld daran aufzuladen. Seit Wochen kommt der aus dem Trinken und Sichleidtun nicht heraus. Wie viele Menschen hätten einst alles gegeben, um ihr Leben
sich zu erhalten, und mussten sich abschlachten lassen. Und so eine schmeißt wegen einer missglückten Liebesgeschichte ihr Leben fort. Kein Gedanke braucht an so eine verschwendet zu werden. Aber Karel hängt sich in diese Geschichte rein. Für den millionenfachen Mord der Nazis verwendet er keinen Gedanken. Fraul blieb stehen, abrupt, sodass ein Passant, hinter ihm gehend, fast in seinen Rücken gelaufen wäre. Ich verachte meinen eigenen Sohn, dachte er irritiert.
    Nachdem er seine Wohnung aufgesperrt hatte und eingetreten war, empfand er sofort, dass etwas passiert sein könnte. Im Wohnzimmer saßen Rosa und Karel beim Tee und hielten einander umschlungen. Als Karl seinen Vater sah, löste er sich und stand auf. Edmund Fraul warf ihm einen raschen Blick zu, neigte grüßend den Kopf und ging an den beiden vorbei ins Schlafzimmer. Dort zog er den Mantel aus, warf den Hut aufs Bett, setzte sich auf die Bettkante und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Er hörte, wie draußen die Tür ins Schloss fiel. Rosa kam herein, blieb vor ihm stehen und sah ihn an.
    »Es tut mir leid«, sagte Edmund und schaute zu ihr hinauf, »armer Kerl.«
    »Er hat mir versprochen, weniger zu trinken«, sagte sie.
    »Schön«, sagte er und stand auf. Er breitete seine Arme aus, und Rosa ging in seine Umarmung. An ihrem Ohr vorbei schaute er auf die Anrichte, währenddessen der Geschmack in seinem Mund an Bitterkeit zunahm.
    8.
    Sonntag früh gegen neun befand sich Dietger Schönn auf der Westautobahn und fuhr mit seinem neuen Volvo durch den Wienerwald. Nachdem er den Artikel im Signal über den Fund der SA -Wehrstammkarte Johann Wais' gelesen hatte, entschloss er sich, Raimund Muthesius in Unterach am Attersee aufzusuchen. Seit seinem letzten Besuch nach Weihnachten, bei dem Schönn den Wunsch geäußert hatte, von Muthesius eine kritische Arbeit über den Istzustand Österreichs in Form eines Stückes zu erhalten, war einiges geschehen. Er hatte ein altes Stück von Muthesius in den Spielplan wieder aufgenommen, aus Unterach hatte er dafür keinen Dank geerntet. Der Dichter hatte sich abfällig über die Burg geäußert und angedeutet, er werde hinkünftig sich ein anderes Uraufführungstheater suchen. Das Ensemble sei ihm zu fad, und alle machten mit verschiedenen Texten immer dasselbe. Er könne denen die schärfsten und brillantesten Rollen schreiben, am Ende käme bloß dieser alberne Theaterdonner heraus. Einige Anrufe Schönns in Unterach hatten ergeben, dass Raimund nicht daran dachte, an dem zu Weihnachten ausgebrüteten Projekt zu arbeiten. Er hätte Wichtigeres zu tun. Es stünde in Form eines Romans eine Abrechnung mit der Kulturschickeria dieses Landes ins Haus. Dietger Schönn hatte sich beschieden und sich zum Ärger Muthesius' bei ihm zweieinhalb Monate lang nicht gemeldet. Normalerweise hatten die beiden Männer wöchentlich telefoniert. Auch jetzt rief Schönn nicht an. Er schloss sich in seinem Büro ein und begann das Projekt zu überdenken, schließlich zu verwerfen. Nun würde er sich von Raimund ein Vergangenheitsbewältigungsstück wünschen. Er war entschlossen, den sich zu einem Skandal auswachsenden Fall Wais zum
Anlass zu nehmen, um weiter scharfes politisches Theater zu machen. Dazu benötigte er Muthesius, die Williams, Obertschatscher, Gaspari und andere, aber Muthesius war der Wichtigste. Er hatte sich auf Umwegen versichert, dass Muthesius daheim sei. Nun würde er ihn einfach überfallen.
    Schönn lächelte in sich hinein, beschleunigte und sauste mit hundertsechzig Stundenkilometer dahin, zuckte zusammen, als er plötzlich rechts das Stift Melk zu sehen bekam, das in seiner gelben und vielfenstrigen Gestalt ihn jedes Mal daran erinnerte, dass er, da er das Stift als Erster

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