Der Kampf mit dem Dämon
Vorwurf mitwürgen. Aber in Wahrheit hat er gerade in Weimar seine größte Gefahr sieghaft bestanden: er hat sich nicht abbringen lassen von der »Unteilbarkeit der Begeisterung«, nicht mäßigen und temperieren, wie jene Wohlmeinenden es wollten. Sein Genius hat sich in seinem tiefsten Element behauptet und gegen alle Klugheit der Dämon ihm eine Unbelehrbarkeit des Instinkts gegeben. So erwidert er Schillers und Goethes Bemühungen, ihn zumIdyllischen, zum Bukolischen, zum Maßvollen dauernd niederzukämpfen, nur mit wilderem Ausbruch. Der Goetheschen Mahnung an die Poesie im Euphorion:
Nur mäßig! mäßig!
Nicht ins Verwegne,
Daß Sturz und Unfall
Dir nicht begegne ...
Bändige! bändige,
Eltern zuliebe,
Überlebendige,
Heftige Triebe!
Ländlich im stillen
Ziere den Plan,
diesem Ratschlag zum poetischen Quietismus, zur Idyllik, antwortet er leidenschaftlich:
Was sänftiget ihr dann, wenn in den Ketten
Der ehrnen Zeit die Seele mir entbrennt,
Was nehmt ihr mir, den nur die Kämpfe retten,
Ihr Weichlinge, mein glühend Element?
Dies »glühend Element«, die Begeisterung, in der Hölderlins Seele lebt wie der Salamander im Feuer, ist rein zurückgebracht aus der Versuchung der Klassikerkühle – schicksalstrunken wirft er, »den nur Kämpfe retten«, sich ein zweites Mal ins Leben hinaus, und
in solcher Esse wird dann
Auch alles Lautre geschmiedet.
Was ihn zerbrechen soll, härtet ihn zuvor, und was ihn härtet, zerbricht ihn.
Diotima
Die Schwächsten reißt das Schicksal
doch hinaus.
Frau von Staël schreibt in ihr Tagebuch: »Francfort est une très jolie ville; on y dîne parfaitement bien, tout le monde parle le Français et s'appelle Gontard.« Bei einer dieser Familien Gontard ist der gescheiterte Dichter als Magister, als Hauslehrer zum achtjährigen Knaben engagiert: hier
wie in Waltershausen erscheinen seinem schwärmerischen, leicht entzündbaren Geist vorerst alle als »sehr gute und nach Verhältnis seltene Menschen«, er fühlt sich wohl, soviel auch von der ursprünglichen Triebkraft schon in ihm zerstört ist. »Ich bin ohnedies wie ein alter Blumenstock«, schreibt er elegisch an Neuffer, »der schon einmal mit Grund und Scherben auf die Straße gestürzt ist und seine Sprößlinge verloren und seine Wurzeln verletzt hat und nur mit Mühe in frischen Boden gesetzt und kaum durch ausgesuchte Pflege vom Verdorren gerettet.« Und er weiß selbst genau um diese »Zerstörbarkeit« – sein tiefstes Wesen kann nur in idealischer, in poetischer Luft atmen, in einem imaginären Griechenland. Nicht die eine oder die andere Wirklichkeit, nicht das eine oder das andere Haus, weder Waltershausen noch Frankfurt noch Hauptwyl waren sonderlich hart gegen ihn: es genügt, daß sie Wirklichkeitssphäre waren, um für ihn zur tragischen zu werden. »The world is too brutal for me«, sagt einmal sein Bruder Keats. Diese zarten Seelen vertrugen eben keine andere als eine dichterische Existenz.
So drängt sich das poetische Gefühl unweigerlich gegen die einzige Gestalt in diesem Kreis, die er bei aller Nähe doch idealisch traumhaft als Botin jener »andern Welt« zu empfinden vermag, die Mutter jenes Knaben, Susanne Gontard, seine Diotima. Wirklich glänzt vom marmornen Bilde, wie eine Büste es uns überliefert, griechische Linienreinheit in diesem deutschen Antlitz, und so sieht sie Hölderlin von der ersten Stunde. »Eine Griechin, nicht wahr«, flüstert er Hegel begeistert zu, als jener sie in ihrem Hause erblickt: sie stammt für ihn aus seiner eigenen, unirdischen Welt und ist, wie er, fremd und in schmerzlicher Heimsehnsucht unter die harten Menschen geraten,
Du schweigst und duldest, denn sie verstehn Dich nicht,
Du edles Leben! siehest zur Erd und schweigst
Am schönen Tag, denn ach! umsonst nur
Suchst Du die Deinen im Sonnlichte ...
Die zärtlichgroßen Seelen, die nimmer sind.
Eine Botin, eine Schwester, eine aus seiner Welt Verirrte, so sieht Hölderlin, der heilige Schwärmer, seines Brotherrn Frau: kein sinnlicher Gedanke des Besitzes mengt sich diesem Verwandtschaftsgefühl. In seltsamem Parallelismus zu Goethes Versen an Charlotte von Stein:
Ach, Du warst in abgelebten Zeiten
Meine Schwester oder meine Frau,
grüßt er Diotima als Langgeahnte, als Schwester einer magischen Präexistenz:
Diotima! Edles Leben,
Schwester, heilig mir verwandt!
Eh ich Dir die Hand gegeben,
Hab ich ferne Dich gekannt.
Hier sieht sein trunkener Überschwang zum erstenmal in der zerstückten, verdorbenen
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