Der Kampf mit dem Dämon
normalen Lebenszustand: Schiller kann an Hölderlin menschlich nicht gutheißen, was er dichterisch gefordert, den schäumenden Überschwang, das Auf-eine-Karte-Setzen der ganzen Existenz, und so muß er – tragischer Zwiespalt – seine eigene Gestalt, den idealischen Schwärmer, als lebensunfähig ablehnen. Sein profunder Blick wird sofort gewahr, daß jener Idealismus, den er von den deutschen Jünglingen gefordert, nur in einer idealischen Welt, im Drama, am Orte sei, daß aber hier, in Weimar und Jena, diese poetische Unbedingtheit, diese dämonische Nicht-Konzilianz des inneren Willens einen jungen Menschen zerstören müsse. »Er hat eine heftige Subjektivität – sein Zustand ist gefährlich, da solchen Naturen schwer beizukommen ist«: wie von einer abstrusen Erscheinung spricht er von dem »Schwärmer« Hölderlin, fast genau also wie Goethe vom »pathologischen« Kleist; beide erkennen sie bei beiden sofort intuitiv den vorbrechenden Dämon, die explosive Gefahr der überhitzten und gestauten Innerlichkeit. Während Schiller aber in der Dichtung solche Heldenjünglinge lyrisch emportreibt und in ihr Übermaß selig hineinstürzen läßt, hinab in den Abgrund ihres Gefühls, sucht im realen Leben der gutmütige, freundliche Mann Hölderlin zu mäßigen. Er bemüht sich für seine private, seine bürgerliche Existenz, verschafft ihm Stellung und seinem Werke einen Verlag – mit innerster Herzensneigung fördert ihn Schiller in geradezu väterlicher Weise. Und, um die gefährliche Spannung des Überschwangs in ihm zu lockern und zu lindern, um ihn »vernünftig zu machen«, drückt er (bei aller Neigung) sanft und planmäßig auf sein Emporstreben, ohne zu ahnen, wie schon leisester Druck diesen Empfindsamen zerbrechen kann. So verwirrt sich allmählich die beiderseitige Stellung: Schiller spürt über Hölderlins Haupt mit dem tiefen Blick des Schicksalbildners das Beil der Selbstvernichtung drohen – Hölderlin fühlt sich wieder von dem »einzigen Manne, an den er seine Freiheit verloren«, von Schiller, »von dem er unabwendig dependiert«, wohl im äußeren Sinne gefördert, doch im tiefsten Wesen nicht verstanden. Er hatte Aufschwung erhofft, Bestärkung – »ein freundlich Wort aus eines tapferen Mannes Herzen ist wie ein geistig Wasser, das aus der Tiefe der Berge quillt und die geheime Kraft der Erde uns mitteilt in seinem kristallenen Tropfen«, sagt Hyperion –; aber sie geben beide nur, Schillerund Goethe, tropfenweise und lau ihre Zustimmung. Niemals teilen sie verschwenderisch Begeisterung aus und entflammen ihm das Herz. So wird Schillers Nähe bei aller Beglückung allmählich zur Qual für Hölderlin: »Ich war immer in Versuchung, Sie zu sehen, und sah Sie immer nur, um zu fühlen, daß ich Ihnen nichts sein konnte«, schreibt er ihm aus einem innern, schmerzvollen Abschied. Und endlich spricht er die Dissonanz seines Gefühls offen aus: »deswegen darf ich Ihnen wohl gestehen, daß ich zuweilen in geheimem Kampfe mit Ihrem Genius bin, um meine Freiheit gegen ihn zu retten«. – Sein Tiefstes, so erkennt er, darf er ihm nicht mehr anvertrauen, der seine Gedichte bekrittelt, seine Überschwänge dämpft, der ihn klein, lau haben will, nicht »subjektivistisch und überspannt«. Aus Stolz inmitten seiner Demut verbirgt er vor Schiller seine wesenhafteren Gedichte, zeigt nur das Spielhafte, das Epigrammatische seiner Produktion, denn ein Hölderlin kann sich nicht wehren, nur beugen und verbergen, das ist seine ewige Haltung. Er bleibt vor den Göttern seiner Jugend ewig auf den Knien: nie schwindet die Verehrung, die Dankbarkeit für jenen, der die »Zauberwolke seiner Jugend« gewesen und seiner Stimme den Gesang geliehen. Und Schiller beugt sich ab und zu mit gefällig förderndem Wort, und Goethe geht freundlich-gleichgültig vorbei. Aber sie lassen ihn liegen auf seinen Knien, bis ihm der Rücken bricht.
So wird die ersehnte Begegnung mit den Großen zu Verhängnis und Gefahr, das freie Jahr in Weimar, von dem er Vollendung der Werke geträumt, fast vergebens vertan. Die Philosophie – dieses »Hospital für verunglückte Poeten« – hat ihn nicht gefördert, die Dichter ihn nicht erhoben: ein Torso ist Hyperion geblieben, das Drama nicht geendet und trotz äußerster Sparsamkeit seine Mittel erschöpft. Die erste Schlacht um sein Schicksal als dichterische Existenz scheint verloren, denn Hölderlin muß wieder der Mutter zur Last fallen und mit jedem Bissen Brot heimlichen
Weitere Kostenlose Bücher