Der Kampf mit dem Dämon
Welt den gebundenen Menschen, das »Eins und alles« – »Lieblichkeit und Hoheit und Ruh und Leben und Geist und Gemüt und Gestalt ist Ein seliges Eins in diesem Wesen«, und zum erstenmal orgelt aus einem Briefe Hölderlins das Wort Glück mit unendlicher Seelengewalt empor. »Noch bin ich immer glücklich wie im ersten Moment. Es ist eine ewige fröhliche heilige Freundschaft mit einem Wesen, das sich recht in dies arme, geist- und ordnungslose Jahrhundert verirrt hat. Mein Schönheitssinn ist nun vor Störung
sicher. Er orientiert sich ewig an diesem Madonnenkopfe. Mein Verstand geht in die Schule bei ihr, und mein uneinig Gemüt besänftigt, erheitert sich täglich in ihrem genügsamen Frieden.«
Das nun ist die ungeheure Gewalt, die Hölderlin an dieser Frau erfährt: Beruhigung. Ein Hölderlin, der Urekstatiker, braucht nicht Glut an einer Frau zu lernen – Glück für diesen ewig Feurigen ist Entspannung, die unendliche Wohltat desRuhendürfens. Und das ist Diotimas Gnade an ihn: Mäßigung. Sie vermag, was Schiller, was der Mutter, was niemandem gelang, den »geheimnisvollen Geist der Unrast« durch Melodie zu zähmen. Man ahnt ihre sorglich gebreitete Hand, ihre mütterlich sorgende Zärtlichkeit aus den Zeiten des Hyperion, »wenn sie immer mit Rat und freundlichen Ermahnungen versucht, ein ordentlich und fröhlich Wesen aus mir zu machen, wenn sie die düsteren Locken und das alternde Gewand und die zernagten Nägel mir verwies«. Wie ein ungeduldiges Kind behütet sie ihn zärtlich, der ihre Kinder behüten soll, und diese Ruhe um ihn, diese Ruhe in ihm ist Hölderlins Seligkeit. »Du weißt ja, wie ich war«, schreibt er dem vertrauten Freunde, »weißt ja, wie ich ohne Glauben lebte, wie ich so karg geworden war mit meinem Herzen, und darum so elend; könnt ich werden, wie ich jetzt bin, froh wie ein Adler, wenn mir nicht dies, dies Eine erschienen wäre?« Reiner, geweihter erscheint ihm die Welt, seit sich seine ungeheure Einsamkeit in eine Harmonie gelöst hat.
Ist nicht heilig mein Herz, schöneren Lebens voll,
Seit ich liebe?
Für einen Lebensaugenblick weicht die Wolke der Schwermut von Hölderlins Stirn:
Und ausgeglichen
Ist eine Weile das Schicksal.
Ein einziges Mal, dieses einzige Mal erreicht sein Leben für eine flüchtige Spanne die Form seines Gedichtes: die selige Schwebe.
Aber der Dämon in ihm bleibt wach, die »fürchterliche Unrast«.
Seines Friedens
Blume, die zärtliche, blüht nicht lange.
Hölderlin ist aus dem Geschlecht derer, denen es nicht gestattet ist, an einer Stätte zu ruhn. Auch die Liebe »sänftigt ihn nur, um ihn wieder wilder zu machen«, wie Diotima von seinem Spiegelbruder Hyperion sagt, und er selbst, der Ahnendstealler, unwissend, aber vom Geist des Vorwissens magisch berührt, weiß wohl um das Unheil, das ihm von innen entwächst. Er weiß, sie dürfen nicht weilen, »zufriedengestellt wie die liebenden Schwäne« – und seines schwarz aufwölkenden, heimlichen Unmuts Geständnis ist offenkundig in seiner »Abbitte«:
Heilig Wesen! gestört hab ich die goldene
Götterruhe Dir oft, und der geheimeren,
Tiefern Schmerzen des Lebens
Hast Du manche gelernt von mir.
Das »wunderbare Sehnen dem Abgrund zu«, jenes geheimnisvolle Ziehen, das die eigene Tiefe sucht, hebt unmerklich an, und allmählich gerät er in ein leises Fieber noch unbewußter Unzufriedenheit. Immer rascher verdüstert sich die tägliche Umwelt vor seinem beleidigten Blick, und wie ein Blitz aus dem gestauten Gewölk fährt aus einem Brief das Wort auf: »Ich bin zerrissen von Liebe und Haß«. Seine Empfindlichkeit spürt aufgereizt den banalen Reichtum des Hauses, der auf die Menschen seiner Umgebung wirkt »wie bei den Bauern neuer Wein«, sein feindseliges Gefühl imaginiert sich Beleidigungen, bis es endlich (wie immer nachher) zu einem gefährlichen Ausbruch kommt. Was geschehen ist an jenem Tage: ob der Gatte, der ungern den schöngeistigen Umgang seiner Gattin geduldet, bloß eifersüchtig oder auch brutal geworden, bleibt Geheimnis. Offenbar ist nur, daß Hölderlins Seele gewaltsam verletzt, ja zerfetzt blieb von jener Stunde: wie vorbrechendes Blut stürzen die Strophen ihm zwischen verbissenen Zähnen heraus:
Wenn ich sterbe mit Schmach, wenn an dem Frechen nicht
Meine Seele sich rächt, wenn ich hinunter bin,
Von des Genius Feinden
Überwunden, ins feige Grab,
Dann vergiß mich, o dann rette vom Untergang
Meinen Namen auch Du, gütiges Herz! nicht mehr.
Aber er wehrt
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