Der Kannibalenclan
Babuschka gemeint war? Sie und nur Sie allein!«
Es ist totenstill in dem Vernehmungsraum. Die beiden sich gegenübersitzenden Verdächtigen schauen sich schweigend an.
Zu groß ist der Schock für Saschas Mutter. Mit einer Zeugin hatte sie nicht gerechnet.
»Und ich sage Ihnen eines, Frau Spesiwtsew«, fährt der Staatsanwalt fort, immer noch stehend und das Videoband in den gehobenen Händen haltend, leicht zitternd und schwer atmend. »Ich werde dafür sorgen, dass Sie die Todesstrafe erhalten, darauf gebe ich Ihnen mein Wort, und ich werde Ihrer Hinrichtung beiwohnen. Ich werde mir den Platz im Lagerhof ansehen, wo alle diejenigen in der Erde vergraben werden, die zum Teil nur ein Menschenleben auf dem Gewissen haben.
Sie! Sie!« – und dabei deutet er mit dem Zeigefinger auf die Frau – »Sie haben neunzehn Menschen auf dem Gewissen; neunzehn Menschen, die ihr Leben noch vor sich hatten. Sie beide haben sie wie Sklaven gehalten, sich an ihrer Jugend ergötzt, an den Schmerzen erfreut Sie haben Mädchen gefoltert, die eigentlich nur eines wollten – weiterleben. Sie, und das glauben Sie mir, sind meiner Meinung die Haupttäterin in dieser furchtbaren Geschichte. Denn ohne Sie wäre es Ihrem Sohn sicher nicht möglich gewesen, an all diese Opfer heranzukommen. Wie kann eine Frau, die selbst Mutter ist, Kinder, und das waren sie alle noch, in eine solch bestialische Falle locken? Sie wussten ganz genau, was auf die Kinder zukommen würde. Oder haben Sie sich selbst an dem befriedigt, was Ihr Sohn mit den Mädchen getan hat?«
Mit diesen Worten lässt er sich wieder auf seinen Stuhl fallen und wartet die Reaktion von Saschas Mutter ab. Er ist sichtlich erschöpft.
Plötzlich sinkt die Frau in sich zusammen und beginnt bitterlich zu weinen.
»Nein, nein, ich will nicht sterben. Ich will nicht sterben«, schreit sie und ist einem Weinkrampf nahe. »Helfen Sie mir, Herr Staatsanwalt«, und dabei benutzt sie ihren Mantel als Taschentuch. Sie nimmt gar nicht wahr, dass der Staatsanwalt aufgestanden ist und einem Wärter befiehlt: »Passen Sie hier auf, ich brauche eine Pause. Ich habe schon vieles erlebt, aber so etwas noch nicht.« Mit diesen Worten verlässt er wütend den Raum.
Saschas Mutter kann sich nicht mehr halten. Ihren Kopf nach unten auf die Knie gelegt, die Arme schützend übereinander gekreuzt, sitzt sie auf dem Stuhl. Sascha steht auf und will offensichtlich zu ihr. Doch der Wärter, der direkt neben ihm steht, drückt ihn an der Schulter wieder auf den Stuhl zurück.
»Sie bleiben sitzen, bis der Herr Staatsanwalt wiederkommt, haben Sie verstanden!«, stellt er unmissverständlich klar.
»Aber ich wollte doch nur…«, weiter kommt Sascha nicht, denn der Wärter drückt seine Schulter brutal nach unten.
Im Büro des Gefängnisdirektors versucht der Staatsanwalt wieder Ruhe zu finden. Er spricht mit dem Direktor: »Ich glaube, solch eine schwierige Verdächtige hatte ich die ganzen letzten Jahre nicht. Da ist alles klar, wir haben genügend Beweise gegen sie – sogar ihren eigenen Sohn! Aber sie leugnet noch immer, mit diesen Straftaten zu tun zu haben.«
»Nun, sie ist auch hier im Lager sehr schwierig«, versucht der Direktor den aufgebrachten Staatsanwalt zu beruhigen.
»Sie lässt niemanden an sich heran. Nicht die Wärter, geschweige denn eine der Mitgefangenen. Seitdem sie hier ist, hat sie noch mit niemandem auch nur ein Wort gesprochen.«
»Ich hoffe, sie ist in der Zwischenzeit vernünftig geworden.
Ihre Tränen beeindrucken mich nicht. Ich möchte nicht wissen, wie viele Tränen die Opfer vergossen haben.« Der Staatsanwalt wendet sich ab, bereit, das Zimmer wieder zu verlassen. »Doch lassen wir das. Schönen Tag noch. Wir hören voneinander.«
Schnellen Schrittes eilt er zum Vernehmungszimmer und ist gespannt, wie Saschas Mutter auf seine letzten Sätze reagiert.
Als er den Raum betritt, bemerken alle, wie ruhig er in der Zwischenzeit geworden ist. Noch einmal, in aller Ruhe, spricht er zu Saschas Mutter, die noch immer weinend und vornüber gebeugt auf dem Stuhl kauert.
»Sie hatten nun genug Zeit, sich alles in Ruhe zu überlegen, Frau Spesiwtsew. Was haben Sie mir zu sagen?« Er wendet sich zur Seite und bittet den Wachtmeister zu gehen, um mit den Verdächtigen alleine zu sein.
Saschas Mutter hebt den Kopf, aber nicht ohne vorher ihren Sohn anzusehen. Doch von dem kommt keinerlei Reaktion.
»Herr Staatsanwalt, ich will nicht sterben. Verstehen Sie das nicht? Ich
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