Der Kannibalenclan
Staatsanwalts.
Sascha denkt erst an ein Verhör im Gefängnis, doch der Staatsanwalt spricht von »fahren«. Verängstigt blickt er den Beamten an und trottet gehorsam hinter den beiden Männern her. Es ist Mittag, eigentlich hätte es jetzt bald Mittagessen gegeben, doch Sascha sagt kein Wort. Vor dem Zellentrakt wartet ein Polizeiwagen mit zwei weiteren Beamten, die ihm sofort Handschellen anlegen, bevor er in den Wagen steigt.
Die Fahrt geht nicht zum Gericht – der Fahrer schlägt eine ganz andere Richtung ein. Immer näher kommen sie der
»Straße der Pioniere«. Sie halten vor dem Haus Nr. 53, in dem Sascha mit seiner Mutter wohnte.
Ängstlich steigt er mit den Beamten die Treppen zu seiner Wohnung hinauf. Er weiß nicht, wie sich die anderen Mieter, sollten sie ihn sehen, verhalten werden. Doch ein Blick auf die kräftigen Begleiter lässt ihn wieder ruhig werden. Er wird bewacht. Er ist sicher.
Es ist Monate her, dass er diese Wohnung zum letzten Mal betreten hat. Erschrocken schaut er zur Eingangstür, die durch den Aufbruch stark in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Als der Beamte die Tür zur Seite schiebt tritt er einen Schritt zurück. Ein Bild der Verwüstung bietet sich ihm, als er die umgestürzten Möbel, die aufgeschlitzten Matratzen und den am Boden liegenden Müll sieht. Raum für Raum schreiten sie ab, und Sascha kann nicht fassen, in welchem Zustand sich die Wohnung befindet. Man hat alles durchwühlt alle Bilder von der Wand genommen und den Inhalt der Schränke auf den Boden gekippt. Zwei Kartons mit Kleidungsstücken von Mädchen werden ausgeleert, und der Staatsanwalt bittet Sascha, die Kleidungsstücke zu identifizieren. Doch er sieht sich die Kleider gar nicht an, er lacht und blickt in eine ganz andere Richtung. »Da habt ihr ja einiges übersehen bei diesem Saustall, den ihr angerichtet habt.«
»Wieso?«, fragt verwundert der Staatsanwalt. Man befreit Sascha von den Handschellen, während einer der Wärter sich vor der Eingangstür der Wohnung postiert. Drinnen zieht Sascha aus einem Versteck geschwind zwei beschriebene Zettel hervor. Auf einem DIN-A-4-Blatt finden sich Zeichnungen weiblicher Geschlechtsteile. Genüsslich betrachtet er die Aufzeichnungen und beginnt zu lesen. »Warum hast du dir diese pornografischen Skizzen gemacht?«, will der Staatsanwalt wissen.
»So halt«, ist seine ganze Antwort.
»Und was steht auf dem Zettel?«
Und Sascha liest alles laut vor. Es sind die zu den Zeichnungen gehörenden Namen und die Todestage der Mädchen, seiner Opfer.
»Wozu hast du das aufgeschrieben?«, wiederholt der Staatsanwalt.
»Einfach so«, antwortet Sascha knapp und betrachtet den zweiten, etwas kleineren Zettel. Auch auf diesem sind Vorder-und Rückseite mit Zeichnungen und mit Namen von Mädchen vollgekritzelt. Ohne jegliche Gefühlsregung liest er die Namen der Mädchen vor. Es macht ihm offenbar viel mehr Spaß, die Zeichnungen zu berühren und zu betrachten.
»Waren diese Mädchen alle bei dir hier in der Wohnung?«, fragt der Staatsanwalt. Er hat mitgezählt, und er kann es kaum glauben. In Spesiwtsews Aufzeichnungen stehen die Namen von insgesamt neunzehn Mädchen.
»Ja!«
»Alle?«
»Ja, alle!« Dabei schüttelt Sascha den Kopf. Offensichtlich versteht er das wiederholte Nachfragen des Staatsanwalts nicht.
»Wann hast du sie hierher gebracht?«
»Sie sehen’s doch, das steht doch alles hier drauf.«
»Was hast du denn mit den Mädchen gemacht? Wenn man deinen Aufzeichnungen glaubt, so waren sie ja zum Teil einige Wochen hier in dieser Wohnung.«
»Was macht man schon mit solchen Miststücken…«, ist seine Antwort, bei der er lauthals lacht.
»Und wurden diese Mädchen alle von dir ermordet?«, fragt der Staatsanwalt zögernd. Doch die Antwort Saschas kommt, ohne zu überlegen: »Ja«
»Alle neunzehn?«
»Wenn so viele auf den Zetteln stehen, dann waren es auch neunzehn«, stellt er klar.
Es vergeht einige Zeit, bis der Staatsanwalt mit seiner Befragung fortfährt. Sascha betrachtet noch immer genüsslich die beiden Blätter und ist sichtlich froh, dass man sie ihm nicht wegnimmt.
»Du weißt, Sascha, dass du soeben vor den anderen Herren und mir und vor laufender Kamera gestanden hast, neunzehn Mädchen getötet zu haben. Würdest du das nochmals wiederholen und, wenn wir ein Protokoll anfertigen, auch unterschreiben?«
»Natürlich. Aber nur, wenn ich die Namen, die Sie ins Protokoll schreiben, auch mit meinen Zetteln vergleichen
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