Der Kannibalenclan
Ich kann Ihnen sagen, das hat ausgesehen wie nach einer richtigen Schlachtorgie.«
Längst fragt der Staatsanwalt nichts mehr, denn man spürt deutlich, wie viel Freude es Sascha bereitet, zu erzählen. Er steigert sich immer mehr hinein. Noch einmal lässt er die grauenvollen Stunden in seinem Bad vor seinem inneren Auge wie einen Film ablaufen, und es ist mehr als deutlich, wie viel Lust ihm dieser Film bereitet.
»Soll ich denn nicht erzählen, wie es weiterging?« Sascha drängt und blickt den Staatsanwalt fragend an – der nickt nur.
»Das Tollste aber war, als eines der Mädchen aus der Wanne wollte. Die Mädchen waren ja alle in der Badewanne. Wie sie über den Rand der Wanne steigen wollte, ich hatte gerade die Hand an ihr dran, und das hinderte sie wohl etwas, stürzte sie und fiel kopfüber auf den Fliesenboden vor der Wanne. Als sie aufstehen wollte, schrie sie fürchterlich. Ich sagte zu ihr, sie solle sich nicht so haben. Aber als ich ihre Beine ansah, sah ich, dass sie sich wohl eines gebrochen hatte… Die Mädchen haben sie dann verarztet, sie nahmen einen Besenstiel und banden Tücher um ihr Bein. Danach hat sie wenigstens nicht mehr so geschrien. Wir hatten noch etwas Spaß in der Wanne, aber irgendwie verging er mir, als das Mädchen auf der Kloschüssel mit ihrem ausgestreckten Bein saß und dauernd heulte. Glauben Sie, das ist lustig? Für mich war es das ganz bestimmt nicht. Aber dafür, dass sie mir meine Freude verdarb, musste sie auch ganz schön büßen. Als ich ihr sagte, dass mir keine so leicht davonkommen würde, die mir meine Freude verdirbt, wusste sie wenigstens, wie sie sich für die Zukunft verhalten muss. Natürlich auch die anderen Mädchen.«
»Und wo waren Ihre Schwester und Ihre Mutter zu diesem Zeitpunkt, als das Mädchen so schrie?«, hakt der Staatsanwalt ein.
»Wo wohl, in der Küche natürlich!«
»Und die haben nichts unternommen?«
»Was unternommen? Was glauben Sie, was die erst Prügel bezogen hätten, wenn sie mich gestört hätten.« Sascha blickt ungläubig ins Gesicht des Staatsanwalts. Diese Frage versteht er nicht.
»Haben Ihre Mutter und Ihre Schwester öfter von Ihnen Prügel bekommen?«
»Klar. Die brauchten es schon öfter, das dürfen Sie mir glauben.« Dann fügt er hinzu: »Wollen wir jetzt über die Mädchen reden oder über meine Mutter und meine Schwester?
Darüber erzähle ich nicht gern, verstehen Sie?«
»Erzählen Sie uns also weiter von den Mädchen.«
»Es machte richtig Spaß, drei Mädchen auf einmal zu haben.
Oft wusste ich gar nicht mehr, was mir noch alles gefallen könnte, denn die Mädchen wurden immer netter zu mir, je böser ich wurde. Nur das Mädchen mit dem gebrochenen Bein wurde immer komischer. Sie weinte immer und wollte bei unseren Spielen nicht mehr mitmachen. ›Bitte warte, bis mein Bein wieder geheilt ist, dann mache ich auch gern wieder mit‹, sagte sie. Und da wurde ich wütend.«
»Wie, wütend? Was haben Sie denn dann mit dem Mädchen gemacht?«
»Gar nichts. Was will man schon anfangen mit so einem Mädchen. Doch ich hatte trotzdem eine gute Idee. Aus dem Küchenschrank holte ich mir einen großen Zettel und schrieb darauf: »Heute Schlachtfest«. Die Mädchen verstanden anfangs nicht, was ich damit meinte. Doch glauben Sie mir, ich habe es ihnen sofort erklärt. Ich sagte zu ihnen, die Anastasia, die liebt mich nicht mehr, denn sie weint und schreit immerzu. Ich verkündete den Mädchen, dass ihre Freundin heute sterben werde. Sie wollten es anfangs nicht glauben, doch ich sagte ihnen: Wer mich nicht mehr liebt und nicht macht, was ich will, der muss eben sterben. Da waren sie doch ein wenig geschockt. Warum, weiß ich heute noch nicht, denn ich sagte ihnen noch, dass die Anastasia in uns weiterleben wird. Dann ist das doch gar nicht so schlimm.«
Längst wäre bei einer Vernehmung dieser Art eine Pause angebracht gewesen, aber dies ist die Stunde des Sascha Aleksander Spesiwtsew. Die Stunde seines Geständnisses.
Seine Finger spielen nervös auf der Tischplatte, dann steht er auf und gestikuliert wie ein Schauspieler. Der Staatsanwalt und alle Beteiligten merken, wie wichtig es diesem Menschen ist, alles zu erzählen. Bis zum heutigen Tag ist Sascha ein ruhiger, beherrschter Häftling gewesen, doch nun kann er seinen Eifer nicht mehr in Zaum halten. Unentwegt zucken seine Mundwinkel, die Augenlider flattern, Speichel tropft zu Boden.
Der Staatsanwalt fragt dennoch ungerührt: »Und wie ist dieses
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