Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kapuzenmörder

Der Kapuzenmörder

Titel: Der Kapuzenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul C. Doherty
Vom Netzwerk:
hinauf zu dem großen, dreiarmigen Galgen, der oben stand. Der Abendwind trug ihnen den bittersüßen Geruch der Verwesung entgegen. Sofort hoben Corbett und Ranulf den Mantelsaum hoch, um Mund und Nase zu bedecken, denn im Dämmerlicht sahen sie die Leichen, die dort noch an den Stricken baumelten. Corbett befahl Ranulf, stehenzubleiben, und ging voraus, um sich umzuschauen. Er vermied es, zu den schlaff herabhängenden Köpfen hinaufzuschauen, und versuchte, auch die aufgedunsenen Bäuche und die nackten, ausgestreckten Füße zu ignorieren, die so aussahen, als wollten sie immer noch zur Erde zurück. Er umrundete das gesamte Schafott: Nichts. Aber dann hörte er Holzbretter klappern, und blieb wartend stehen. Eine sonderbar aussehende Kreatur kam den ausgetretenen Weg zum Schafott herauf. In der Dämmerung wirkte der Mann wie ein Zwerg, in Lumpen gehüllt. Er hielt inne, als er Ranulf sah, streckte die Hand aus und bettelte um ein Almosen. Dann erblickte er Corbett, der zielstrebig den Weg herunter auf ihn zukam. Die Hand fiel herab, und der Kerl drehte sich um, flink wie ein Kaninchen, trotz der Bretter, die an seine Kniestümpfe gebunden waren.
    »Nicht weglaufen!« rief Corbett.
    Ranulf packte den Mann bei der Schulter. Der Bettler wimmerte, und sein verzerrtes, runzliges Gesicht verzog sich in jämmerlichem Flehen.
    »Um der Barmherzigkeit willen, laßt mich gehen!« weinte er. »Ich bin nur ein armer Bettler!«
    Corbett kam heran und hockte sich vor ihm nieder. Er schaute in die funkelnden, halb irren Augen und sah die unrasierten Wangen und das Kinn und die Speichelfäden, die sich zu beiden Seiten des Mundes herabzogen.
    »Du kommst jeden Abend hierher, nicht wahr?«
    Der Kerl wehrte sich immer noch gegen Ranulfs Hand.
    »Wir wollen dir nichts tun«, fügte Corbett beschwichtigend hinzu. »Wirklich nicht.« Er streckte die Hand aus, und der Bettler erblickte ein paar Pennies und zwei Silbermünzen. Der Mann entspannte sich und fing an zu grinsen.
    »Ihr meint es gut mit mir«, sagte er. »Ihr wollt dem alten Ragwort helfen.«
    Er wiegte sich auf seinen hölzernen Brettern vor und zurück, und Corbett war unbehaglich zumute, als rede er mit jemandem, der halb in der dunklen Erde vergraben war.
    »Ihr wollt mir nichts tun«, wiederholte der Kerl, und Corbett sah, wie eine schmutzige Hand nach den Münzen griff.
    »Sie gehören dir«, flüsterte er, »wenn du uns erzählst, was du gesehen hast.«
    »Ich sehe Visionen«, antwortete der Bettler, gefaßter jetzt, und ließ sich niedersinken, nachdem Ranulf ihn losgelassen hatte. »Ich sehe, wie der Teufel umhergeht. Deswegen verstecke ich mich bei den Toten. Sie beschützen mich. Manchmal spreche ich mit ihnen. Ich erzähle ihnen, was ich weiß und was ich sehe, und manchmal sprechen sie auch mit mir. Dann sagen sie, wie leid ihnen alles tut.« Der Kerl grinste verschlagen. »Nie bin ich allein. Nicht mal im Winter.« Er deutete zu den Lichtern von St. Bartholomew. »Wenn die Sonne geht, gehe ich auch. Manchmal schlafe ich in den Kellern, aber da sehe ich keine Visionen.«
    »Was hast du denn gesehen?« fragte Corbett beharrlich. »In der Nacht, in der die alte Lady gestorben ist?«
    Der Bettler kniff die Augen zusammen. »Jetzt hab ich’s vergessen.«
    Münzen gingen von einer Hand zur anderen.
    »Nun fällt es mir wieder ein!« schrie er, daß es Corbett in den Ohren gellte.
    »Pst!« Corbett hielt den Finger an die Lippen. »Erzähl’s mir, und das restliche Geld ist dein.«
    Ragwort verrenkte den Hals und deutete mit dem Kopf ?um Schafott hinüber. »Ich sitze so da und rede mit meinen Freunden.«
    Corbett begriff, daß er die Toten meinte, die da am Galgen hingen.
    »Und da plötzlich hör ich Schritte und sehe eine Gestalt, die aus dem Dunkeln herankommt. Es ist die Frau.«
    »Und dann?«
    »Dann hör ich noch andere Schritte.«
    »Wie klangen sie?«
    »Oh, schwer. Der Teufel ist schwer, wißt Ihr.«
    Corbett warf Ranulf einen entnervten Blick zu. Der Bettler war halb wahnsinnig, und der Sekretär fragte sich, wieviel von dem, was er da redete, die Wahrheit war, und wieviel seiner fiebrigen Phantasie entspringen mochte.
    »Was geschah weiter?« fragte er.
    »Ich weiß, da kommt der Teufel«, berichtete Ragwort. »Ich will die Frau warnen, aber sie bleibt stehen. Sie schaut ins Dunkel zurück und ruft: >Wer ist da?< Der Teufel kommt näher, und die Frau sagt: >Ach, du bist es.<«
    »Sag das noch einmal.«
    »Die Frau sagt: >Ach, du bist es.<«
    »Und

Weitere Kostenlose Bücher