Der Kapuzenmörder
gegangen?«
»Kurz danach.«
»Und welchen Weg hat sie genommen?«
Der junge Bruder lächelte. »Sir Hugh, da kann ich Euch nicht weiterhelfen.«
Corbett dankte ihm, und Bruder David war halb draußen, als er sich noch einmal umdrehte.
»Ich habe von dem Mord an Lady Somerville gehört«, sagte er. »Ihre Leiche wurde vor dem Schafott in Smithfield gefunden?«
»Ja, das stimmt.«
Der Mönch deutete mit dem Kopf zum Fenster. »Es wird dunkel, und der Pferdemarkt ist zu Ende. Wenn Ihr wollt — und vielleicht hilft es Euch ja — , es gibt da einen Bettler, einen halb verrückten Mann, der seine Beine im Krieg für den König verloren hat. Nachts schläft er unter dem Schafott, denn da fühlt er sich sicher.« Der junge Mönch zuckte die Achseln. »Kann sein, daß er etwas gesehen hat. Ich habe ihn einmal abends gehört, als er am Tor der Priorei vorbeikam; da schrie er, daß der Teufel in Smithfield umgehe. Ich habe ihn gefragt, was er damit meint, aber er lebt in seiner eigenen Welt. Er behauptet immer, Visionen zu haben.«
Der junge Mönch schloß die Tür hinter sich, und Corbett schaute erst Pater Thomas, dann Ranulf an.
»Es läuft einem eiskalt den Rücken herunter«, sagte er leise. »Jeder könnte der Mörder sein; aber aus irgendeinem Grund glaube ich, daß Lady Somervilles Tod der Schlüssel zum Ganzen ist.«
Sie verabschiedeten sich von Pater Thomas. Corbett machte noch einen Abstecher ins Spital, zu den verwelkten alten Vetteln, denen am Abend des 11. Mai der Besuch der Damen Neville und Somerville gegolten hatte. Aber die beiden erwiesen sich als schwachsinnig; ihr Verstand war irr und ihre Rede wirr, und so ließ Corbett sie bald in Ruhe.
Im Hof des Spitals zog er seinen Mantel zurecht und sah Ranulf an, der immer noch einen bedrückten und gedankenverlorenen Eindruck machte.
»Ranulf«, sagte er mit leichtem Spott, »was hast du denn?« I »Nichts, Master.«
Corbett hakte sich bei seinem Gefährten unter und zog ihn zu sich heran. »Komm schon, Mann — du bist ja schweigsam wie eine Nonne!«
Ranulf riß sich los, trat beiseite und schaute in die zunehmende Dunkelheit hinauf. Der Himmel verfärbte sich in der untergehenden Sonne, und ein leichter Wind wehte die verhallenden Geräusche der Stadt zu ihnen herüber.
»Etwas gäbe es schon«, brummte er. »Aber darüber will ich nicht reden.<<
»Das ist doch nicht alles.«
Ranulf seufzte. »Vielleicht werde ich alt, Master. Ich gehe in die Schenken, betrinke mich, tobe mich aus. Ich pflege vertraulichen Umgang mit Mädchen von der Sorte, wie der Mörder sie hingemetzelt hat. Ich sehe, wie ihre Augen fröhlich blitzen. Ich necke sie und bezahle sie mit Gold.« Er blies die Wangen auf. »Und jetzt sehe ich ihr Leben von einer anderen Seite, und...«
»Und?«
»Was mir wirklich Angst macht, Master, ist das, was Pater Thomas gesagt hat. Der Mörder kann jeder sein. Wenn wir beide nicht in Winchester gewesen wären, stünden wir wie jeder andere Mann in der Stadt unter Verdacht. Dazu gehört übrigens auch unser Freund Alexander Cade.«
Corbetts Miene verhärtete sich. »Was meinst du damit, Ranulf?«
»Nun, Cade ist ein guter Justizbeamter. Er ist unbestechlich. Er ist gründlich und rücksichtslos. Warum also war er in der Abtei so still? Und in St. Lawrence Jewry habe ich bemerkt, daß er das Totenhaus rasch wieder verlassen und seinen Abstand gehalten hat. Vielleicht irre ich mich, Master, aber ich stimme Euch zu: Er hat etwas zu verbergen.«
»Ich vermute, jeder hat etwas zu verbergen«, sagte Corbett. »Du hast gehört, was Pater Thomas gesagt hat. Wir haben es mit einem Mann zu tun, der zwei Leben führt. Ein aufrechtes Leben bei Tag, aber in der Nacht kriecht er durch Straßen und Gassen und denkt wie vom Teufel besessen an Mord. So, Ranulf, und jetzt halte dir die Nase zu und stähle deinen Magen. Es wird Zeit, daß wir das Schafott aufsuchen.«
Sie verließen die Priorei und überquerten das verlassene Marktgelände von Smithfield. Ein paar Leute trödelten noch herum: Ein Pferdehändler, der verzweifelt versuchte, zwei alte Mähren zu verkaufen, die so erschöpft aussahen, daß sie kaum noch stehen konnten; ein Höker, dessen Apfelfaß beinahe leer war; zwei Jungen, die eine aufgepumpte Schweinsblase hin und her traten, derweil ein Betrunkener an einer der Ulmen lehnte und ein unanständiges Lied grölte. Es wurde immer dunkler. Sie kamen an der Stelle vorbei, wo die Straftäter verbrannt wurden, und stiegen den sanften Hang
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