Der Kardinal im Kreml
so einfach aufgeben konnte. Wieder muÃte er die Regeln ändern, aber bei diesem Spiel ging es eigentlich nur um eines: das Gewinnen.
Gerasimow nahm den Schlüssel aus der Tasche und sah ihn sich zum erstenmal im Schein seiner Schreibtischlampe genauer an. Eigentlich sah er ganz gewöhnlich aus, aber wie vorgesehen benutzt, konnte er den Tod von vielleicht fünfzig Millionen Menschen, wenn nicht gar hundert verursachen. Die Männer des Dritten Direktorats auf den U-Booten und bei den landgestützten Raketen verfügten über diese Macht â der sampolit, der Politoffizier allein war zur Aktivierung der Sprengköpfe ermächtigt, ohne die die Raketen nur Feuerwerkskörper darstellten. Dieser Schlüssel, im richtigen Augenblick umgedreht, verwandelte die Raketen in die furchterregendsten Vernichtungsinstrumente, die die Menschheit je gekannt hatte. Und wenn die Raketen erst einmal flogen, konnte nichts sie aufhalten ...
Doch das sollte sich ändern.
Was war es wert, der Mann zu sein, der das zuwege brachte?
Gerasimow lächelte. Das war mehr wert als alle Regeln zusammen. Hatten nicht die Amerikaner selbst gegen die Regeln verstoÃen, als sie auf dem Rangierbahnhof ihren Kurier töteten? Er griff nach dem Telefon und verlangte einen Fernmeldeoffizier. Zeit für ein Interkontinentalgespräch.
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Dr. Taussig war überrascht, als sie das Signal sah. Es war Anns Eigenheit, nie von der Routine abzuweichen. Obwohl sie so ganz impulsiv bei ihrer Kontaktperson aufgetaucht war, fuhr sie zum Einkaufszentrum, weil das zu ihrer Samstagsroutine gehörte. Auf dem Parkplatz sah sie Anns Volvo, dessen Sonnenblende auf der Fahrerseite heruntergeklappt war. Beatrice Taussig schaute auf die Uhr und schritt rascher auf den Eingang zu. Drinnen wandte sie sich nach links.
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Peggy Jennings arbeitete heute allein. Beim FBI herrsche eine solche Personalknappheit, daà der Job nicht so rasch erledigt werden konnte, wie Washington es erwartete, aber das war nichts Neues. Der Ort war günstig und ungünstig
zugleich. Es war einfach, ihre Zielperson bis zum Einkaufszentrum zu verfolgen, doch drinnen konnte ihr nur ein Team von Agenten auf der Spur bleiben. Sie erreichte den Eingang eine Minute nach Beatrice Taussig und wuÃte schon, daà sie sie verloren hatte. Nun, mit der Observation wurde ja erst begonnen. Die Routine bringtâs, sagte sich Peggy Jennings beim Ãffnen der Tür.
Beatrice Taussig war nirgends zu sehen. Agentin Jennings schlenderte an den Schaufenstern entlang und fragte sich, ob Dr. Taussig wohl ins Kino gegangen war.
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»Hallo, Ann!«
»Bea!« rief Tanja Bisjarina in der Boutique. »Wie gehtâs?«
»Sehr beschäftigt«, erwiderte Dr. Taussig. »Das steht Ihnen aber toll!«
»Sie hat eben eine Idealfigur«, stellte die Inhaberin fest.
»Was man von mir leider nicht behaupten kann«, meinte Bea Taussig bedrückt, nahm ein Kostüm von der Stange und trat vor den Spiegel. Der strenge Schnitt paÃte zu ihrer derzeitigen Gemütsverfassung. »Kann ich das anprobieren?«
»Aber sicher«, versetzte die Inhaberin sofort. Das Kostüm kostete dreihundert Dollar.
»Soll ich Ihnen zur Hand gehen?« fragte Ann.
»Gern â dabei können Sie mir erzählen, was Sie so treiben.« Beide Frauen gingen zu den Umkleidekabinen.
Hinter dem Vorhang schnatterten sie drauflos. Bisjarina holte ein Stück Papier hervor, das Taussig las. Ihre Konversation stockte, aber dann nickte sie zustimmend. Beas Miene verriet erst Schock, dann Akzeptanz und schlieÃlich etwas, das Bisjarina überhaupt nicht gefiel, aber dafür wurde sie schlieÃlich nicht vom KGB bezahlt.
Das Kostüm saà recht gut, wie die Inhaberin feststellte, als die beiden wieder herauskamen. Beatrice Taussig zahlte mit Kreditkarte. Ann winkte, verlieà den Laden und wandte sich nach links.
Agentin Jennings sah wenige Minuten später ihre Zielperson mit einer groÃen Klarsichttüte aus der Boutique
kommen. Ah, so ist das also, sagte sie sich. Sie hat den Frust von gestern abend mit einem Impulskauf bekämpft â schon wieder so ein kesses Kostüm. Peggy Jennings verfolgte sie noch eine Stunde lang und brach dann die Observation ab. Hier war nichts zu holen.
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»Eiskalt wie eine Hundeschnauze«, sagte Ryan zu Candela. »Ich hatte zwar nicht gerechnet, daà er mir gleich um den Hals fällt,
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