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Der Kardinal im Kreml

Der Kardinal im Kreml

Titel: Der Kardinal im Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clancy Tom
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Doch die Kassette war so schlüpfrig, daß er sie nicht richtig zu fassen bekam. Der Zug hielt, der Kurier stieg aus. Wer ihn verfolgte, wußte er nicht, sondern nur, daß er ein Warnsignal bekommen hatte, und dieses Signal befahl ihm auch, das Beweisstück auf vorgeschriebene Weise zu vernichten –, aber das mußte er nun zum erstenmal tun. Er drehte sich nicht um und verließ den Bahnhof nicht schneller als die Menge. Foley schaute noch nicht einmal aus dem Fenster, um ihn nicht zu gefährden.
    Nun stand der Kurier allein auf einer Stufe der Rolltreppe. Noch ein paar Sekunden, dann war er auf der Straße. In einer Seitengasse würde er den Film belichten und in einen Gully werfen, zusammen mit der Zigarette, die er sich gerade angesteckt hatte. Natürlich war seine Karriere als Spion nun vorüber, und er war überrascht über die Erleichterung, die er bei diesem Gedanken empfand.
    Die eiskalte Luft riß ihn in die Realität zurück, doch inzwischen
ging die Sonne auf, und der Himmel war wunderbar klar. Er wandte sich nach rechts und marschierte los. Wenn er nur den Film aus der Kassette bekäme ... verflucht! Er zog den anderen Handschuh aus und rieb sich die Hände. Dann benutzte er die Fingernägel. Endlich! Er knüllte den Film zusammen, steckte die Kassette zurück in die Tasche, und –
    Â»Genosse.« Kräftige Stimme für so einen alten Mann, dachte der Kurier. Braune Augen funkelten wach, die Hand an seiner Tasche war stark. Die andere Hand hatte der Mann in der Tasche. »Ich will sehen, was Sie da in der Hand haben.«
    Â»Wer sind Sie eigentlich?« fuhr ihn der Kurier an. »Was erlauben Sie sich?«
    Die rechte Hand in der Tasche zuckte. »Ich bin der Mann, der Sie auf der Stelle erschießen wird, wenn Sie mir nicht sofort zeigen, was Sie in der Hand haben. Major Boris Tschurbanow.« Tschurbanow wußte, daß sich sein Rang bald ändern würde. Dem Gesichtsausdruck des Mannes nach zu schließen, hatte er seinen Obersten schon so gut wie in der Tasche.
    Â 
    Zehn Minuten später war Foley in seinem Büro und schickte eine Kollegin hinaus auf die Straße, um nach dem Zeichen, daß sich der Kurier des Filmes erfolgreich entledigt hatte, Ausschau zu halten. Er hoffte, nur gepatzt, überreagiert zu haben, doch irgendwie hatte das Gesicht des Mannes in der U-Bahn professionell gewirkt. Er legte die Hände flach auf die Tischplatte und starrte sie mehrere Minuten lang an.
    Was hab ich falsch gemacht? fragte er sich. Auch das hatte man ihm bei der Ausbildung beigebracht: seine Handlungen Schritt für Schritt zu analysieren, nach Fehlern zu suchen. War er verfolgt worden? Das ging allen Angehörigen der US-Botschaft gelegentlich so. Sein persönlicher Bewacher war ein Mann, den er ›George‹ nannte, doch George ließ sich nur selten blicken, weil die Russen nicht wußten, wer Foley in Wirklichkeit war. Das wußte er mit Sicherheit
– und das blieb ihm auch im Hals stecken. Sich im Geheimdienstgeschäft irgendeiner Sache sicher zu sein, war das sichere Rezept für die Katastrophe.
    Sein nächster Schritt war vorprogrammiert. Er ging in den Fernmelderaum und schickte ein Telex ans Außenministerium, das in einem Fach für Sonderfälle landete. Eine Minute nach seinem Eingang fuhr ein Nachtdienstoffizier von Langley ins Ministerium, um es abzuholen. Der Wortlaut des Fernschreibens war harmlos, seine Bedeutung aber nicht: KARDINALE PROBLEME. EINZELHEITEN FOLGEN.
    Â 
    Man brachte ihn nicht zum Dserschinski-Platz. Die KGB-Zentrale, früher auch ein Gefängnis, war nun ein reiner Verwaltungsbau, denn im Einklang mit Parkinsons Gesetz hatte sich die Behörde so lange vergrößert, bis sie allen verfügbaren Platz einnahm. Vernehmungen führte man inzwischen im Lefortowo-Gefängnis durch. Hier war genug Platz.
    Er saß allein in einem Raum, der nur einen Tisch und drei Stühle enthielt. Es war dem Kurier überhaupt nicht eingefallen, Widerstand zu leisten, und er erkannte erst jetzt, daß er vielleicht noch frei wäre, wenn er die Flucht ergriffen oder sich gegen die Verhaftung gewehrt hätte.
    Â»So, Genosse Tschurbanow, was haben wir da?« fragte ein ungefähr dreißigjähriger Hauptmann des Zweiten Direktorats.
    Â»Lassen Sie das entwickeln.« Tschurbanow händigte die Kassette aus. »Ich halte diesen Mann für einen Kurier.« Er

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