Der Kartograph
Mann,
als die Terra incognita zu erkunden. Warum habt Ihr Euch nicht schon
längst auf den Weg gemacht?»
Philesius zuckte die Schultern. «Habt Ihr nicht mein Husten
gehört, Ilacomylus? Es wäre sehr störend. Im Bauch einer
Karavelle geht es eng zu. Ich könnte die anderen Passagiere am
Schlafen hindern. Und zum Seemann tauge ich auch nicht»,
erklärte er leichthin.
Martin Waldseemüller wurde plötzlich klar, dass Philesius
schwer krank war. Er hatte die Seuche so vieler, die in ärmlichen
Verhältnissen, in zugigen, klammen Behausungen aufgewachsen waren.
Er hatte die Schwindsucht.
Inzwischen rannten sie fast. Es wurde dadurch noch schwerer, dem
Gespräch etwas von der früheren Leichtigkeit
zurückzugeben. Philesius wollte offensichtlich kein Aufhebens um
seinen körperlichen Zustand machen. «Nun, bei den Damen
scheint es Euch nicht zu schaden», keuchte Martin
Waldseemüller im Laufen.
Der andere lachte. «Im Gegenteil. Es weckt offensichtlich ihren
Mutterinstinkt. Vielleicht auch, weil ich so hager bin. Wer weiß.
Ich bekomme jedenfalls immer gutes Essen, gewürzten Wein und ein
weiches Bett, wenn die Ehemänner fort sind.»
«Philesius, als Theologe muss ich sagen, Ihr führt einen
äußerst unchristlichen Lebenswandel», flachste Martin
Waldseemüller. Der Jüngere mit seinem trockenen Humor wurde
ihm immer sympathischer.
Der keuchte inzwischen ebenfalls, obwohl er wesentlich längere
Beine hatte. «Oh ja. Ich bin ein Aspirant für die
Hölle.»
«Corrumpunt bonos mores colloquia brava», erwiderte Martin Waldseemüller.
«Das ist von Menander, nicht wahr? Oh, es braucht nicht immer
schlechte Gesellschaft, um einen guten Menschen zu verderben. Manchmal
reicht es schon aus zu leben.»
«Das ist ein Zitat aus der Margarita von Reisch.»
«Ihr habt sie tatsächlich gelesen», stellte Philesius fest.
«Ja, natürlich, alle zwölf Bücher», bestätigte Ilacomylus.
Sie lachten erneut, fühlten die Vertrautheit, die zwischen ihnen
wuchs. Sie hatten die Schritte einander angepasst, fast wie Soldaten,
die zusammen in die Schlacht zogen. Die Tritte hallten durch die Nacht,
das Echo wurde von den Häuserwänden zurückgeworfen.
Trotz des Altersunterschiedes hatte Martin Waldseemüller nicht das
Gefühl, Philesius wäre viel jünger. Vielleicht machte
eine Krankheit wie die seine, die immer tödlich endete, einen
Menschen vor der Zeit reif. Vielleicht musste er sein Leben deshalb
schneller leben, es voller packen als andere, gesunde Menschen.
«Ich habe schon so viel von Euch gehört, von Euren
Verdiensten. Und Ihr habt mir vorhin selbst aus Eurem Leben
erzählt. Ihr habt viel erlebt für einen so jungen Menschen.
Wie alt seid Ihr eigentlich?», erkundigte er sich.
Philesius japste nach Luft. «Lasst mich rechnen – geboren
1482, zehn Jahre, bevor Kolumbus zum ersten Mal über den Atlantik
segelte. Jetzt haben wir 1505 – also dreiundzwanzig. Ihr wirkt
aber auch nicht gerade wie ein Greis auf mich.»
Martin Waldseemüller blieb stehen. Sein Brustkorb hob und senkte
sich heftig. «Vielleicht nicht, aber manches Mal komme ich mir
doch so vor. Zum Beispiel im Moment. Immerhin bin ich fast neun Jahre
älter als Ihr.»
«Ich sehe, Ihr seid schon sehr gebeugt von der Last Eurer Jahre.»
Das gemeinsame Lachen verstärkte das gute Einvernehmen zwischen
ihnen. Beide wussten in diesem Moment, sie würden sich wiedersehen.
Nur noch wenige Meter und Waldseemüller war angekommen. Das kleine
Bürgerhaus hatte schon bessere Zeiten gesehen, wirkte aber immer
noch anheimelnd. Mehr noch: Es erschien den beiden nassen Männern
in diesem Moment als der schönste Ort weit und breit. Martin
Waldseemüller nestelte den Haustürschlüssel von seinem
Gürtel. «Hier lebe ich», erklärte er,
während er die schwere Holztür aufschloss. «Tretet
ein.»
Matthias Ringmann tat eiligst, was ihm angeboten wurde. Vor ihm
erschien im Dämmerlicht des Mondes, der das Treppenhaus
erleuchtete, eine steile hölzerne Stiege. «Ihr lebt nicht
bei Eurem Onkel Jakob?»
«Wartet, ich gehe voran. Nein, sein Haus ist nicht groß
genug. Ich würde nur den Platz wegnehmen, der für die
Druckerei benötigt wird. Außerdem war es mir wichtig, mein
eigenes Reich zu haben, auch wenn es nur klein ist und eigentlich mehr,
als ich mir leisten kann. Aber meine Zimmerwirtin ist sehr –
zuvorkommend.»
«Aha.»
«Ich wollte damit sagen, dass sie hervorragendes Essen zubereitet. Zum Beispiel Sauerkraut.»
Matthias Ringmann war glücklich, wieder im Trocknen zu
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