Der Kartograph
wenig
herrichten lassen. Es handle sich im Übrigen um eine ganz
zwanglose Zusammenkunft. Es bestehe also keinerlei Notwendigkeit zu
festlicher Kleidung.
Das kam Martin Waldseemüller sehr entgegen. Er
hatte gar keine festliche Kleidung, sondern überhaupt nur zwei
Gewänder: einen wärmeren Rock für den Winter und einen
etwas leichteren für den Sommer. Beide waren schwarz und
schmucklos und entsprachen daher seiner Stellung als Theologe. Er
betrachtete sie kritisch.
Es erschien ihm sehr zweifelhaft, ob er darin vor
den Augen Marie Grüningers bestehen konnte. Nacht für Nacht
träumte er von ihr, von ihrem wunderbaren Lachen. Doch
plötzlich verwandelte sie sich, nahm den Ausdruck bedrohlicher
Gestalten an, die gegen seine Kammertüre hämmerten, an sein
Bett traten und ihn erwürgen wollten. Immer bevor er keine Luft
mehr bekam, schrak er auf. Dieser üble Traum musste eine Folge des
Schlages auf den Kopf sein. Und trotzdem hätte er das Lachen von
Marie Grüninger, das ihn durch seine Nächte begleitete, um
keinen Preis missen wollen.
Seufzend griff er nach dem Sommerrock. Der andere
war einfach noch zu warm für diese Jahreszeit. Andererseits, die
Nächte konnten schon empfindlich kühl werden. Er würde
den Mantel mitnehmen, sein einziges Stück, das wenigstens etwas
hermachte. Christine, das Amerbach’sche Hausfaktotum, hatte es
auf wundersame Weise geschafft, ihn wieder zu säubern.
Sorgsam verriegelte er von außen die
Türe zu seiner Kammer. Er hatte ein neues Schloss einsetzen lassen
müssen, weil die Einbrecher das alte mit roher Gewalt gesprengt
hatten. Der Schmied hatte ihn seine letzten Münzen gekostet. Nun,
heute würde es ja bei Amerbach etwas zu essen geben.
Die Stufen der Holzstiege knarrten unter seinen
Tritten. Er versuchte möglichst leise zu gehen, um nicht seiner
Hausfrau zu begegnen, der er die Miete schuldete. Er hatte ein
schlechtes Gewissen, sie war Witwe und lebte vom Vermieten der Zimmer.
Morgen musste er unbedingt mit seinem Onkel Jakob sprechen. Der hatte
ihm schon seit längerem seinen Lohn nicht mehr geben können.
Er verstand ja, dass das Essen für die eigenen Kinder wichtiger
war. Trotzdem, vielleicht konnte er einige Münzen erübrigen.
Martin Waldseemüller schritt kräftig aus, obwohl er es
eigentlich nicht eilig hatte. Er genoss die Abendsonne auf seiner Haut.
Draußen war es nicht so schwül wie in der Kammer. Auf der
Brücke machte er Halt und schaute auf den Fluss hinunter. Der Wind
blies die Kühle des Wassers bis zu ihm hinauf. Von hier aus konnte
er die Türme des Münsters sehen. Auf dem Rhein trieb ein
Floß flussabwärts, dem Meer zu. Es war mit Fässern
beladen. Trotz der immer noch beachtlichen Strömung tauchte der
Vordermann das große Paddel tief ein und zog kräftig durch,
während sein Kollege hinten stand und mit dem Ruder den Kurs in
der Flussmitte hielt.
Das Meer. Ausgerechnet er, ein Mann, der weitab des
Meeres lebte, hatte es sich zum Ziel gesetzt, die beste und genaueste
Seekarte zu schaffen, die es in der alten Welt gab. Es war die einzige
Art, in der er sich diese Sehnsucht erfüllen konnte, die ihn schon
so lange trieb. Einmal das Meer sehen. Oh ja, er kannte das Meer von
Gemälden, von Botticellis Geburt der Venus zum Beispiel. Er hatte
einmal eine Kopie des Bildes gesehen. Darauf schwamm die Muschel der
Schönheit ruhig auf einem grauen Spiegel, alles schien leicht, so
einfach.
Doch sein Onkel Jakob hatte ihm den Atlantik ganz
anders beschrieben. Und die Erinnerung daran hatte ihn niemals mehr
losgelassen. Er konnte den Nachhhall der Worte noch hören, obwohl
es schon so viele Jahre her war. Damals war er fast noch ein Junge
gewesen: «Im einen Moment wirkt der Ozean wie ein sanft
gebauschtes graues Tuch, im nächsten wie ein gieriges Ungeheuer,
das an der Küste nagt, die Felsen verschlingt», hatte sein
Onkel erzählt. «Und wenn der Atlantik sanft ist, der Gott
des Meeres und die Winde zur Ruhe gekommen sind, dann wiegt dich das
Rauschen der Brandung sanft in den Schlaf und ruft dir zu: Komm her,
komm her. Aber diese Ruhe ist trügerisch. Schon im nächsten
Moment wühlt Poseidon die Wasser auf, peitscht der Wind die Wellen
zu meterhohen Brechern auf, auf denen auch das größte Schiff
wie ein Spielball hin- und hergeworfen wird.»
Mit diesen Worten hatte sein großer Traum
begonnen, die unstillbare Sehnsucht, zu wissen, wie dieses Wasser
wirklich aussah, den Duft der Algen und des Fisches zu riechen, von dem
sein Onkel erzählt hatte,
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