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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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den Wind auf seinem Gesicht zu
spüren und wie der Sturm an den Haaren riss. Vor allem aber zu
erblicken, was jenseits dieses großen Ozeans war. Den Schleier
wegzuziehen, das Geheimnis zu ergründen, dieses neue Land zu
betreten, das wie die Venus aus dem Meer plötzlich am Horizont des
Wissens aufgestiegen und nun in seinem Bewusstein für immer
verankert war. Das Rufen des Meeres in seinem Inneren hatte seit damals
niemals aufgehört. Vielleicht war es ja lächerlich, was er
vorhatte. Doch er konnte nicht anders.
    Und nun steckte er in einer Zwickmühle.
Offenbar hatten jene, die Vespuccis Schriften druckten, daran einiges
verändert. Ringmann selbst hatte ihm ja bestätigt, dass noch
lange nicht alles authentisch war, was unter dem Namen des Florentiners
veröffentlicht worden war. Das erschwerte allerdings seine
Situation zusätzlich. Kaum hatte er die eine Hürde
überwunden, baute sich die nächste vor ihm auf. Für die
Seekarte, die er plante, brauchte er unumstößliche Fakten.
Sonst machte er sich in der Welt der Gelehrten lächerlich.
    Er warf noch einen letzten, sehnsüchtigen
Blick auf das Floß, das sich schnell entfernte. Wie gerne
wäre er mitgereist. Er stellte fest, dass die Sonne schon
untergegangen war. Er würde nun doch zu spät kommen.
    Philesius entdeckte ihn als Erster, als er in den
von zahllosen Kerzen erhellten Raum trat. Der Tisch war weiß
gedeckt, silberne Kerzenleuchter und Kandelaber an der Decke
verbreiteten eine wohlige Stimmung. Im Kamin glühten die Reste
eines Feuers. «Ilacomylus, wie schön! Wir dachten schon, Ihr
hättet uns versetzt!» Die Freude über sein Erscheinen
war Philesius anzusehen. Dabei hatte er doch weiß Gott nichts
getan, um sich ein solches Wohlwollen zu verdienen, fand Martin
Waldseemüller. Dennoch genoss er es. Zum ersten Mal, seit er in
Basel angekommen war, fühlte er sich in dieser Stadt wohl. Die
Basler waren weltoffen, das schon. Sie mussten es sein, denn die Stadt
lebte vom Handel. Ihre private Sphäre schützten sie jedoch
sorgsam vor fremden Augen.
    Marie Grüninger hatte sich zu Philesius
gesellt. «Ich dachte schon, Ihr hättet uns vergessen»,
schmollte sie. Ihre Augen glitzerten vergnügt, während sie
ihn musterte. Und Ilacomylus, der Kosmograph, der Theologe und
Philosoph, war erneut hingerissen von dieser unverbildeten
Fröhlichkeit.
    «Nun malträtiert ihn nicht schon wieder, Marie. Ilacomylus hat es schon schwer genug.»
Sofort wurde ihr Blick mitfühlend. «Oh ja. Philesius hat uns
von Eurem Pech erzählt. Ist denn schon klar, wer Eure Bleibe so
zugerichtet hat?»
Martin Waldseemüller schüttelte den Kopf.
«Ja, habt Ihr die Sache denn nicht gemeldet?», erkundigte
sich jetzt Johann Amerbach. «Wie Philesius mir berichtete, sind
einige sehr wertvolle Handschriften zerstört worden. Die
müsst Ihr mir unbedingt zeigen. Ein Drucker wie ich ist immer auf
der Suche nach gutem Material, das die Veröffentlichung lohnt.
Vielleicht lassen sie sich auch wieder herrichten.»
«Ja, dafür wäre ich Euch sehr dankbar. Allerdings waren
es nur Handschriften-Fragmente. Einige stammen aus der Bibliothek des
Klosters Reichenau. Andere fanden sich in dem Besitz, den meine Familie
noch in Radolfzell hatte.»
«So seid Ihr also der Spross von kunstsinnigen Menschen», stellte Amerbach fest.
«Nun, vielleicht. Obwohl sich außer meinem Onkel Jakob und
mir keine Studierten in meiner Familie finden, dafür aber brave
Handwerker. Es gibt welche darunter, die eine Walzmühle betrieben.
Sie nannten sich Waltzemüller.»
«Ah, daher Ilacomylus. Ist mylos nicht das griechische Wort für Mühle?», warf Marie Grüninger ein.
Besagter Ilacomylus wurde ein wenig verlegen. «Fast. Ich habe den
Namen etwas abgewandelt, wie Ihr sicher bemerkt habt. So ist er auch
für fremde Zungen leichter auszusprechen, nämlich in
Waldseemüller. Daraus wiederum folgte das Wortspiel Ilacomylus.
Das griechische hyle für Wald, das lateinische lacus für See und – wie Ihr schon sagtet – das griechische mylos für Mühle. Er versuchte, sein Erstaunen darüber zu verbergen, dass sie sogar Griechisch zu sprechen schien.
Marie Grüninger bemerkte es und lachte herzlich. «In
Gesellschaft so gelehrter Männer schnappt selbst ein dummes Weib
wie ich einiges auf. Übrigens braucht Ihr Euch für die kleine
Abwandlung nicht zu entschuldigen, ich finde sie sehr folgerichtig.
Ringmann hier nennt sich Philesius Vosagense. Das heißt der
Zärtliche, der Liebevolle aus den Vogesen. Aber ich

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