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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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den Kopf und seine Augen fielen auf seine Liebste, die tot
vor ihm lag.
    Er sang ihren Namen.
    Ich hatte Spittelberg mit diesem Ruf geweckt.
Als seine Stimme das Theater erfüllte, weckte Guadagni vierzehnhundert Herzen.
Einen Moment lang klang sein Echo aus jeder Ecke. Er sang den Namen noch einmal
mit noch traurigerer Stimme, sodass die hölzernen Logen und der Kronleuchter aus
Kristall mit Eurydikes Namen widerhallten und alle scharrenden Füße und
nervösen Hände zum Schweigen brachten.
    Ich hatte es so oft bei den Proben
gesehen, aber jetzt war es ein magisches Ritual: Diese versammelte Menge mit
ihren Düften nach Rosen und Jasmin, diese tote Frau auf ihrer Bahre, die
drückende Hitze von Lampen und vierzehnhundert Leibern, Guadagnis Stimme
strahlender, als ich sie je gehört hatte – all das brachte die unsterblichen
Liebenden ins Leben zurück. Tränen glitzerten auf meinem Gesicht und auch auf
vielen anderen, als Orpheus seine Klage sang, als Zeus seinen Ruf hörte und
Amor zu ihm schickte. Bald vermischten sich Guadagnis und Clavaraus Stimmen in
der Höhlung des Theaters. Mein Herz hob sich. Er würde sie zurückgewinnen! Er
würde Eurydike vor dem Tod retten.
    Als sich der Vorhang schloss, lief ich
mit dem Rock zu Guadagni, aber er schüttelte den Kopf. Das Theater brach in
Applaus aus. Viermal trat Guadagni durch den Vorhang und verbeugte sich. Sie
applaudierten immer noch, als er in seine Garderobe ging.
    Tassos Kopf lugte aus einer
Versenkung, und sobald sich die Garderobentür des Sängers geschlossen hatte,
trat Tasso in Aktion. Ich hörte, wie sich Winden in Bewegung setzten, die Achse
sich knarrend drehte und die Seile sich strafften – und wie durch Zauberei
kamen die Kulissen angeglitten. Der Prospekt fiel nach unten. Gefärbtes Glas
schob sich vor die Lampen und tauchte die Bühne in flackerndes Rot. Es war der
Eingang zur Unterwelt mit dem Styx, wo Orpheus die Furien zähmen würde.
    Gluck begann mit dem zweiten Akt.
    Die Furien mit ihren schwarzen
Gesichtern tanzten. Ihre Fußknöchel knackten, als sie sich zuckend wanden. Der
Klang einer Harfe brachte sie zum Stillstand, denn Hoffnung und Liebe waren in
ihrer Höhle verboten. Sie verfluchten den Mann, der es wagte, Schönheit in die
Unterwelt zu bringen. Sie sangen lauter, um Orpheus’ Harfe zu übertönen.
Guadagnis Tür öffnete sich, als die Harfe ein zweites Mal erklang. Er ließ
seinen Rock von den Schultern gleiten, ohne mich auch nur anzusehen, und
marschierte auf die Bühne. Ich versuchte den Rock zu fangen, aber er fiel auf
den Boden.
    Die Furien tanzten um Orpheus herum
und versuchten, ihn in die Flucht zu schlagen.
    Er stand ruhig da – ein stiller
Baumstamm in einem Sturm peitschender Zweige. Seine Liebe kannte keine Furcht,
und seine einsame Stimme war stärker als der Chor. Sie schwang sich in die
Luft, und die Zuschauer wussten, dass die Dämonen gegen diese Stärke machtlos
waren. Ihre Stimmen wurden milde. Ihr Tanz wurde gemäßigter. Sie ließen ihn
durch und sahen ehrfürchtig zu, als er in den Schatten verschwand.
    Guadagni verließ die Bühne, und ich
war da, um ihn in Empfang zu nehmen.
    Der Vorhang schloss sich nur für
einen Augenblick. Tasso betätigte seine Winde und ließ den Prospekt
verschwinden. Die dunkelroten Kulissen wurden von einem unendlich blauen Himmel
ersetzt. Das rot gefärbte Glas wurde entfernt. Als sich der Vorhang wieder
öffnete, hatte Tasso das Elysium ins Kaiserreich gebracht.
    Angiolinis Ballett erfreute die Augen
des Publikums. Guadagni stand neben mir in den Kulissen, den Kopf gesenkt, als
schliefe er. Seine breiten Schultern hoben und senkten sich. Das Ballett war zu
Ende, und der Chor versammelte sich, um den Helden erscheinen zu sehen.
    Als die ersten Noten der Oboe das
Theater wie mit einem Sonnenstrahl erfüllten, glitt Gaetano Guadagni auf die
Bühne zurück. Orpheus blieb an genau derselben Stelle stehen, wo die Oper mit
seinem Kummer begonnen hatte. Jetzt wurde er mit jedem Atemzug größer. Das
Publikum wusste, dass sich etwas in ihm staute. Sie beugten sich auf ihren
Sitzen vor und wollte seine Freude teilen.
    Die Arie floss aus seiner kostbaren
Kehle, und ihre Wärme ließ meinen Körper kribbeln. Ich dehnte mich aus, als die
Erwartung mich erfüllte, aber ich achtete darauf, kein Geräusch zu machen, als
ich in Tassos Höhle kroch. Die drei Männer lagen nebeneinander auf dem Boden
und starrten an die Decke, als könnten sie durch das dunkle Holz sehen, wie
Guadagnis goldene

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