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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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Stimme über die Bühne wogte. Wahrhaftig, die Stimme meines
Maestros – zu schwach für hervorbrechende Leidenschaft – war für die Heiterkeit
dieser Arie gemacht.
    Unter dem Gewirr der Seile kroch ich
zum Guckloch. Glucks schweißglänzendes Gesicht strahlte seine Schöpfung an.
Hinter ihm im Ochsenpferch standen Münder offen und alle Augen blickten
fasziniert zu Orpheus hinauf. Die königliche Familie saß so still wie auf einem
Gemälde. Nicht der Hauch einer Bewegung oben in Le
Paradis , nur das Glitzern feuchter Augen.
    Amalia! Sie hatte das Geländer vor
sich ergriffen und saß aufrecht, angespannt da. Die Musik tat ihr weh, und sie
biss sich auf die Lippe. Mit Sicherheit würden sich ihr tausend Gesichter
zuwenden, wenn Gräfin Riechers Schwiegertochter die Fassung verlor. Mit einem
weißen Handschuh wischte sie sich eine Träne ab, dann drückte sie einen
Fingerknöchel gegen ihr zitterndes Kinn.
    Anton legte eine Hand auf die Schulter
seiner Frau. Sie versteifte sich. Sie tat mehrere Atemzüge. Sie schloss ihre
Hand um seine Finger – aber nur, um seine Hand von ihrer Schulter zu nehmen und
gleich wieder loszulassen. Anton zog seinen Arm weg und widmete seine
Aufmerksamkeit wieder der Bühne.
    Gräfin Riecher warf ihr einen
missbilligenden Blick zu, aber Amalia schien ihn gar nicht zu bemerken. Mit
leerem Blick sah sie auf die Logen gegenüber und atmete flach und gleichmäßig,
bis Guadagni sein Lied beendet hatte.
    Bald wirst du die Musik wieder lieben, flüsterte ich und kroch vom Guckloch weg.
    Guadagni verbeugte sich und ging
in seine Garderobe. Es war Zeit, die Botschaft zu überbringen, aber der Sänger
hatte die Tür hinter sich offen stehen lassen. Mit großem Widerwillen folgte
ich ihm.
    »Signora Clavarau singt wie eine Kuh«,
sagte er. Das war nicht wahr, sie hatte schön gesungen. Aber ich nickte. Er
trank einen Schluck Wein.
    Gluck platzte herein. Der Komponist
lächelte mich an und schien mich umarmen zu wollen, aber dann merkte er, dass
ich nicht der war, den er suchte. Er schob sich an mir vorbei zu Guadagni.
    »Was für ein Erfolg!«, rief Gluck.
    Guadagni nickte.
    »Und wenn sie erst den dritten Akt
hören! Dann wird Orpheus wieder leben!« Gluck beäugte Guadagnis Glas. »Darf
ich?«, fragte er und wartete nicht auf die Antwort, sondern stürzte den Rest
von Guadagnis Wein hinunter. »Ich gehe jetzt in die Loge des Grafen.«
    »Schicken Sie Ihrer Majestät meine
Empfehlungen«, erwiderte Guadagni.
    Gluck verschwand, um mit Graf Durazzi
zu sprechen, dessen Loge an die der Kaiserin grenzte. Ich glitt zur Tür. »Ich
bin draußen«, sagte ich. »Wenn Sie mich brauchen.«
    »Nein«, sagte er. »Bleib hier. Schließ
die Tür.«
    Widerwillig befolgte ich seinen Befehl
und stellte mich wieder hinter meinen Maestro. Er betrachtete mich im Spiegel.
    Plötzlich hob er eine Hand in die Höhe
und hielt sie über seine Schulter. Ich erkannte, dass ich meine Hand in seine
legen sollte. Er drückte meine Hand auf seine Schulter.
    »Es ist gut, dass wir uns gefunden
haben«, sagte er. »Diese Welt ist kein freundlicher Ort, am wenigsten für
solche wie uns.«
    Uns?, dachte
ich. Aber wir gleichen uns nicht.
    »Mio fratello«, fuhr er fort. »Es tut mir leid, wenn ich dich neulich gekränkt habe. Es
war unbedacht von mir. In deiner Unwissenheit hast du geglaubt, du könntest
nützlich sein. Ich bin mir sicher, dass du diesen Fehler nie wieder machen
wirst. Das ist mir jetzt klar, und deshalb bedaure ich meine Worte. Ich hatte
so viele Schüler in der Vergangenheit, weißt du. Am Ende haben sie mich
verlassen oder ich habe sie weggeschickt. Es gab keinen einzigen, dem ich
vollkommen vertrauen konnte. Bis ich dich gefunden habe. Du bist anders.«
    Meine Hand schwitzte. Lass mich gehen!
    »Früher oder später wurden sie alle zu
Wölfen. Sie wollten haben, was ich habe. Du bist anders. Du willst mich nur
singen hören. Habe ich recht? Gibt es sonst noch etwas, das du begehrst? Sag es
mir einfach, und ich schenke es dir.«
    »Nichts«, sagte ich. Nach heute Abend werde ich dich niemals wiedersehen.
    Er lächelte und drückte fest meine
Hand. »Das habe ich mir gedacht. Du musst wissen, dass auch du mir vertrauen
kannst. Ich werde dich nie im Stich lassen. Wenn ich aus Wien fortgehe, nehme
ich dich mit. Wir werden für immer Lehrer und Schüler sein.«
    Ich murmelte meinen Dank, und er
lächelte liebenswürdig. »Geh jetzt«, sagte er. »Ich muss zu Orpheus
zurückkehren. Bevor der letzte Akt zu Ende ist,

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