Der Katalysator
richtige für mich. Mehr konnte ich nicht verlangen.“
Was sind denn die Dinge, dachte Paul, die man vom Leben verlangen sollte? Die Bitte der Priesterin in Song kam ihm in den Sinn. Sollte er davon sprechen? Oder wäre es zuviel verlangt, wenn er erwartete, daß sie Donnator kannte?
Aber sie war schneller als er.
Sie las seine Gedanken. „Ich habe gesehen, wie Sie die Luminex-Bilder im Wohnzimmer betrachteten. Natürlich kennen Sie Song. Es ist tatsächlich wichtig, das Richtige zu erbitten – genau das, aber nicht mehr. Meine Mutter, die Original-Derringer, war eine berühmte Holo-TV-Schauspielerin. Ihr letzter Auftritt war eine Aufführung von Song. Der Produzent hatte den Text für sie geschrieben.
Wie er lautete, weiß heute niemand mehr, denn die Aufzeichnung ging verloren. Aber gerade als sie die Bitte vortrug, hatte sie einen Herzanfall. Das war natürlich ein Zufall, aber doch irgendwie unheimlich.“
In diesem Augenblick bemerkten sie beide, daß etwas in ihr Bewußtsein drängte.
Ein Ton – stetig und beharrlich – verlangte Schweigen, in diesem Raum, im Haus und von allen, die darin waren.
Das Telephon läutete. Es läutete noch einmal, dann folgte eine Pause, und dann war die Stille vollkommen.
Zusammen verließen sie das Schlafzimmer und traten hinaus auf den Flur. Serane hatte den Hörer abgenommen, hörte zu und gab gelegentlich eine einsilbige Antwort.
Dann war es vorüber, und er legte langsam den Hörer auf die Gabel. Er hob den Kopf. „Das war Bert Gorman von der Public Relations. Der Vorstand hat Kussman ernannt.“ Inzwischen hatte der Flur sich mit Menschen gefüllt. Serane wandte sich um und sah sie mit traurigem Bedauern an. „Es tut mir leid. Es tut mir so leid.“
Einer nach dem anderen verabschiedeten sich die Gäste murmelnd und gingen.
Paul suchte nach Mary Derringer, aber sie war schon fort.
Während er zurück zur Rhoda Street fuhr, versanken die düsteren Gedanken an Seranes Zukunft allmählich, und er bemerkte, daß er über eine äußerst sonderbare Angelegenheit grübelte. Er hatte eine halbe Stunde lang frei und offen mit einer beinahe Fremden über Billy gesprochen. Und Mary Derringer hatte ihn verstanden – sie hatte alles verstanden. Es war unglaublich. Nicht einen Augenblick lang hatte er gezögert, ihr von seinem Bruder zu erzählen. Es war alles so natürlich erschienen. Er schüttelte den Kopf. Sheila war so anders. Auf ihre eigene, polierte Art war sie wahrscheinlich hübscher als Mary. Aber Sheila wußte nicht einmal, daß er überhaupt je einen Bruder gehabt hatte. Das Thema war nie zur Sprache gekommen, weder im Bett noch anderswo. Und wie war er bei Mary darauf gekommen? So sehr er auch überlegte, er konnte sich nicht erinnern.
9
Der neue Direktor
Jeden Morgen um sieben Uhr schaltete sich der automatische Motor am Fuße des Flaggenmastes vor dem Laboratorium ein und hißte rasch und reibungslos die Fahne mit den einundfünfzig Sternen. Um sieben Uhr abends verlief der gleiche Vorgang umgekehrt. Heute jedoch hatte sich der Mechanismus festgefressen, als die Fahne den Mast erst zur Hälfte erklommen hatte. Dort flatterte sie nun, ein einsamer Gruß für die nach und nach eintreffenden Angestellten.
Als Dr. Compton, der Bibliothekar, seine Abteilung betrat, fand er die Benutzernischen seiner Computer mit schwarzen Bändern geschmückt.
Der Tag fing schlecht an.
Den ganzen Vormittag über versammelten sich besorgte Leute in kleinen Grüppchen in den Gängen, um die Angelegenheit zu diskutieren. Hin und wieder schnappte Paul Fetzen von ihren Gesprächen auf.
„Leb wohl, Johnnie Serane.“
Er fühlte, wie eine kalte Faust sich um sein Herz schloß.
Frederick Kussman
Direktor des Laboratoriums
Die prachtvolle Aufschrift zierte die Tür zu seinem Büro. Er konnte sie jetzt nicht sehen, aber er wußte, daß sie da war.
Auf einstimmigen Wunsch, nämlich auf den Beschluß des Vorstandes, war er geadelt und damit rechtmäßig und unauslöschlich in die Liste der Aristokratie eingetragen worden.
Der Erfolg verlangte, daß er etwas gegen seine Feinde unternahm.
Serane natürlich. Aber nicht nur Serane. Es gab auch andere. Womöglich würde er eine ganze Reihe von Leuten loswerden müssen. Dieser Gedanke tröstete ihn angesichts der vielen Ungewißheiten, die vor ihm lagen.
Wenn er durch die Türöffnung in sein Vorzimmer schaute, sah er Mrs. Pinkster. Vorgebeugt saß sie auf ihrem Stuhl. Das Sonnenlicht drang durch die
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