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Der Katalysator

Der Katalysator

Titel: Der Katalysator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles L. Harness
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den 3 D-Effekt auszukosten. Paul sah, wie sie eine Hand auf ihren Bauch legte. Sie will ein Kind, dachte er. Und dann begann ein neuer Gedanke an ihm zu nagen. Oder – ist sie ein Klon? Betastet ihren Geburtsfleck? Und wenn es so ist, macht es dir etwas aus?
    Marys Blicke wanderten zu einem Gruppenholo: Serane, seine Frau Alessa, zwei Kinder und zwei ältere Leute, vielleicht die Großeltern. Sanft berührte das Mädchen den Rahmen. Paul erahnte die Andeutung einer abgrundtiefen Leere in ihrem Leben, vielleicht die Folge einer niemals überwundenen Kindheitskatastrophe. Sie will außerdem (dachte er) eine Familie um sich haben, sie will Stammeszugehörigkeit empfinden. Deswegen hat sie sich für Serane entschieden. Serane und seine Gruppe haben sie schützend umhüllt. Und jetzt steht das alles auf dem Spiel. Er spürte ihre Verwundbarkeit. Ein Klon würde vielleicht so reagieren …
    Sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante, und sie vergaßen das Buch.
    Paul merkte plötzlich, daß er über Billy redete. Er wollte, daß sie verstand, was er für seinen Bruder empfand. „Billys großer Walnuß-Schreibtisch stand in einer Ecke bei den Fenstern. Es war ein antikes Ding, aber sehr solide. So ähnlich wie der, den Johnnie hier hat. Die Vorderseite läßt sich herunterklappen und wird dann zu einer Schreibfläche. Dort machte er seine Hausaufgaben. Die Platte war groß genug für sein Zeichenbrett und stark genug für seine kleine elektrische Schreibmaschine. Überall waren Schubfächer, und jedes war bis zum Rand mit irgendwelchen Sachen gefüllt. Das Bett war eine schlichte Eisenkonstruktion; es stand unter den Fenstern. Er hatte eine Nachttischlampe – die einzige im ganzen Haus. Und einen Stummen Diener für Hemden, Socken und Unterwäsche. Am oberen Ende war eine Keramikschale befestigt, in der seine beiden Haarbürsten lagen. Die brauchte er für seine Donnator-Frisur, die in den neunziger Jahren weit verbreitet war.“
    „Und dann ist er gestorben?“
    „Ja, und ich zog in sein Zimmer.“
    „Wollten Sie umziehen?“
    „Eigentlich nicht. Aber da war es nun – leer. Mammi meinte, ich sollte hineinziehen. Es gab nicht viel umzuräumen. Ein paar Hemden, ein paar Socken und ein wenig Unterwäsche. Ich habe alle seine Sachen geerbt. Auch die, die ich nicht tragen konnte, weil sie mir zwei Nummern zu klein waren. Ich habe sie einfach aufbewahrt.“
    „Was glauben Sie, wie er es empfunden hätte, daß Sie sein Zimmer bezogen – daß Sie es übernahmen?“
    „Er hätte es als logisch empfunden.“
    „Und wie fühlten Sie sich?“
    „Unbehaglich – zu Anfang.“
    „Klassisch“, meinte Mary, die Psychologin, versonnen. „Ein Fall aus dem Lehrbuch.“ Nachdenklich ließ sie ihren Scotch im Glase kreisen, und dann verkündete sie ihr Urteil. „Was Sie haben, ist ein Großer-Bruder-Komplex.“
    „Was Sie nicht sagen.“
    „Er ist Teil eines Familienkomplexes. Viele Leute in Ashkettles haben so etwas. Sehr nützlich, wenn man es nicht übertreibt. Alles wird zu einer Wiederholung der Kindheit. Wir spielen es als Variationen auf ein und dasselbe Thema. Mutter und Vater. Brüder und Schwestern. Wir verteilen Rollen, und es wird zu einem Spiel. Das Labor wird zur großen Mutterfigur. Oder das Schiff. Oder das Büro. Der Vater ist der Labordirektor.“
    Sie weiß, dachte Paul, daß ich Serane mit Billy gleichsetze.
    Mary schwieg eine Weile. Sie hatte sich einer raschen, traumartigen Phantasie hingegeben, mit einem Anfang, einer Mitte und einem Schluß. Sie heiratete Paul, doch ohne die Billigung seines Bruders. Billy erschien auf der Szene, mit Blitzen in beiden Händen, und vertrieb sie aus dem Ehebett. Es war zu schade. Aber sie konnte sich unmöglich mit diesem ernsthaften jungen Mann einlassen, auch wenn er den richtigen, waidwunden Ausdruck an sich hatte. Nicht solange sein toter Bruder sein Unterbewußtsein überwachte.
    Sie seufzte. Na ja, zumindest hatte sie Dr. Serane und Dr. Seranes Gruppe. Aber sie wußte, daß es damit plötzlich vorbei sein konnte – so wie es mit einer Pflegefamilie nach der anderen vorbei gewesen war, als sie noch ein kleines Mädchen war.
    Paul hatte etwas zu ihr gesagt. Jetzt lächelte er und wiederholte seine Frage. „Sie hätten bei der Psychologie bleiben sollen. Warum haben Sie es sich anders überlegt?“
    Sie antwortete unumwunden. „Nachdem ich ihn kennengelernt hatte, erschien es mir nicht mehr wichtig. Er und die Leute in seiner Gruppe – sie waren einfach genau das

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