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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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mein Fenster sich schloß. Ich legte den Gang ein und setzte zurück.
    Dann machte ich eine Dreihundertsechzig-Grad-Drehung, und die Fernsehleute stoben auseinander. Mit quietschenden Reifen parkte ich direkt hinter dem Van, so daß er zwischen meinem Mercedes und dem Gebäude eingekeilt war.
    »Moment mal!«
    »He! Das können Sie doch nicht machen!«
    Als ich ausstieg, starrten sie mich ungläubig an. Ohne mich lange mit einem Regenschirm abzumühen, spurtete ich zur Tür und schloss auf.
    »He!« ertönte es hinter mir. »Wie sollen wir denn da rauskommen?«
    Von dem überdimensionalen rotbraunen Kombi im Verladeraum perlte Wasser auf den Betonfußboden. Ich öffnete eine weitere Tür, trat in den Korridor und schaute nach, wer sonst noch da war. Die weißen Fliesen blitzten vor Sauberkeit, die Luft war von extrastarkem Raumdeo geschwängert, und während ich zum Büro des Leichenschauhauses ging, öffnete sich schmatzend die Kühlraumtür aus massivem, rostfreiem Stahl.
    »Guten Morgen!« sagte Wingo mit einem überraschten Lächeln. »Sie sind aber früh dran.«
    »Danke, daß Sie den Kombi aus dem Regen geholt haben«, sagte ich.
    »Soweit ich weiß, haben wir heute keine Fälle mehr zu erwarten, und da dachte ich, es könnte nicht schaden, ihn unterzustellen.«
    »Haben Sie draußen jemanden gesehen, als Sie ihn reingefahren haben?« fragte ich.
    Er machte ein verwundertes Gesicht. »Nein. Aber das ist schon ungefähr eine Stunde her.«
    Wingo war der einzige meiner Mitarbeiter, der für gewöhnlich früher ins Büro kam als ich. Er war ein graziöser, attraktiver junger Mann mit hübschem Gesicht und widerspenstigen dunklen Haaren. Aufgrund eines zwanghaften Sauberkeitswahns bügelte er seine Schürzen, wusch mehrmals wöchentlich den Kombi und die Transporter der Anatomie und polierte ständig sämtliche Edelstahloberflächen, bis man sich in ihnen spiegeln konnte. Er hatte für den geregelten Betrieb des Leichenschauhauses zu sorgen, und das tat er mit der Präzision und dem Stolz eines Generals. Wir beide duldeten hier unten nicht die geringste Achtlosigkeit, und niemand wagte es, infektiösen Abfall unsachgemäß zu entsorgen oder dumme Witze über die Toten zu reißen.
    »Der Leichnam von der Mülldeponie liegt noch im Kühlraum«, sagte Wingo zu mir. »Wollen Sie, daß ich ihn raushole?«
    »Warten wir lieber bis nach der Dienstbesprechung«, erwiderte ich. »Je länger er kühl bleibt, desto besser, und ich möchte nicht, daß hier jemand reinmarschiert und ihn sich anschaut.«
    »Das würde ich nie zulassen«, sagte er, als hätte ich ihm gerade unterstellt, er vernachlässige seine Pflichten.
    »Ich möchte auch nicht, daß jemand vom Personal aus Neugier hereinschaut.«
    »Oh.« Ärger blitzte in seinen Augen auf. »Ich versteh' die Leute einfach nicht.«
    Das würde er nie tun, denn er war nicht wie sie.
    »Würden Sie bitte den Sicherheitsdienst alarmieren?« sagte ich. »Das Fernsehen steht bereits auf dem Parkplatz.«
    »Das gibt's doch nicht. So früh am Tag?«
    »Channel Eight wartete schon auf mich, als ich kam.« Ich reichte ihm meinen Autoschlüssel. »Geben Sie ihnen noch ein paar Minuten, und dann lassen Sie sie raus.«
    »Raus? Wie meinen Sie das?« Er runzelte die Stirn und starrte auf den Fernbedienungsschlüssel in seiner Hand.
    »Die stehen auf meinem Parkplatz.« Ich steuerte auf den Aufzug zu.
    »Wie bitte?«
    »Sie werden schon sehen.« Ich trat in die Kabine. »Wenn die meinen Wagen auch nur anrühren, zeige ich sie wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung an. Dann sorge ich dafür, daß der Sender einen Anruf von der Staatsanwaltschaft kriegt. Vielleicht verklage ich sie auch.« Ich lächelte ihm zwischen den sich schließenden Türen hindurch zu.
    Mein Büro lag im ersten Stock des Consolidated Lab Building, einem Gebäude aus den siebziger Jahren. Wir und die Wissenschaftler aus dem oberen Stockwerk sollten bald ausziehen, weil wir endlich großzügigere Räumlichkeiten im neuen Biotechnologiepark an der Broad Street bekamen, nicht weit vom Marriott und dem Coliseum entfernt.
    Die Bauarbeiten waren bereits im Gange, und ich verbrachte viel zuviel Zeit damit, um Details, Blaupausen und Budgets zu streiten. Das, was jahrelang mein Zuhause gewesen war, war nun in Auflösung begriffen. Kartonstapel säumten die Flure, und die Büroangestellten hatten keine Lust mehr, ihre Akten vernünftig abzulegen, weil ohnehin alles eingepackt werden mußte. Ich verschloß die Augen vor

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