Der Keim des Verderbens
»Die Staatsanwältin will wissen, was Sache ist.«
Das konnte ja wohl nicht wahr sein. Mit der Staatsanwaltschaft wurde normalerweise erst gesprochen, wenn es einen Verdächtigen gab.
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte ich.
»Ich habe Keith Pleasants auf dem Korn.«
Ich war fassungslos.
»Es gibt eine Menge Indizien«, fuhr er fort. »Da ist zum Beispiel die Frage, wie es kommt, daß gerade er den Bagger fuhr, als der Rumpf gefunden wurde. Normalerweise ist das nämlich gar nicht sein Job, und dann sitzt er rein zufällig in genau dem Moment hinterm Steuer?«
»Ich finde, das macht ihn eher zum Opfer als zum Verdächtigen. Wenn er der Mörder wäre«, fuhr ich fort, »sollte man doch meinen, daß er darauf aus wäre, so weit wie möglich von der Deponie entfernt zu sein, wenn die Leiche gefunden wird.«
»Psychopathen sind so«, sagte er, als müsse er es wissen. »Sie geilen sich an der Vorstellung auf, dabeizusein, wenn das Opfer gefunden wird. Wie zum Beispiel der Frauenmörder, ein Krankenwagenfahrer, der seine Opfer in der Gegend ablud, für die er zuständig war. Kurz bevor er zum Dienst fuhr, wählte er dann den Notruf, damit er selbst für den Einsatz eingeteilt wurde.«
Offenbar hatte er nicht nur Psychologie studiert, sondern auch noch einen Profiling-Lehrgang besucht. Er wusste einfach über alles Bescheid.
»Keith lebt bei seiner Mutter. Ich habe den Eindruck, er kann sie nicht ausstehen«, fuhr er fort und strich seine Krawatte glatt. »Sie hat ihn erst spät bekommen und ist jetzt über sechzig. Er sorgt für sie.«
»Seine Mutter hat er also schon mal nicht umgebracht.«
»Stimmt. Aber das heißt nicht, daß er seine Aggressionen nicht an irgendeiner anderen armen alten Frau ausgelassen hat. Und hinzu kommt: Sie werden's nicht glauben, aber während der High-School hat er in der Fleischabteilung eines Lebensmittelgeschäfts gearbeitet. Er war Schlachtergehilfe.«
Ich sagte ihm nichts von meiner Vermutung, daß bei diesem Fall keine Fleischersäge verwendet worden war, sondern ließ ihn weiterreden.
»Er ist nie besonders gesellig gewesen, was auch wieder zum Täterprofil paßt.« Er fuhr fort, seine aberwitzigen Theorien auszuspinnen. »Und auf der Deponie geht das Gerücht, er sei homosexuell.«
»Und worauf stützt sich das?«
»Darauf, daß er sich nie mit Frauen trifft und auch kein Interesse zeigt, wenn die anderen Jungs Bemerkungen und Witze über Frauen machen. Sie wissen ja, wie es unter rauhen Jungs so zugeht.«
»Beschreiben Sie mir das Haus, in dem er wohnt.« Ich hatte dabei die Fotos im Sinn, die ich per E-Mail erhalten hatte.
»Zweistöckig, drei Schlafzimmer, Küche, Wohnzimmer. Mittelklasse auf dem absteigenden Ast in die Armut. Möglich, daß sie es früher, als sein Dad noch da war, ganz nett hatten.«
»Was ist denn aus dem Vater geworden?«
»Abgehauen, bevor Keith geboren wurde.«
»Geschwister?« fragte ich.
»Längst erwachsen. Keith war wohl gar nicht mehr geplant. Ich habe den Verdacht, daß Mr. Pleasants gar nicht sein Vater ist. Das würde auch erklären, wieso er bereits vor Keiths Geburt fort war.«
»Und worauf gründet sich dieser Verdacht?« fragte ich spitz.
»Das hab' ich im Gefühl.«
»Aha.«
»Sie wohnen ziemlich abgelegen, etwa zehn Meilen von der Deponie entfernt in einer ländlichen Gegend«, sagte er. »Haben einen ziemlich großen Garten und eine Garage.« Er schlug die Beine übereinander und machte ein bedeutungsvolle Pause. »In der Garage steht eine große Werkbank, und dort liegt jede Menge Werkzeug herum. Keith sagt, er sei Heimwerker und benutze die Garage als Werkstatt, wenn es im Haus etwas zu reparieren gebe. Ich habe eine Metallsäge an der Wand hängen sehen und eine Machete, die er angeblich benutzt, um Kudzu und Unkraut zu jäten.«
Er schlüpfte aus seinem Jackett und breitete es sorgfältig über seinen Schoß, bevor er mit seiner Führung durch Keith Pleasants Leben fortfuhr.
»Sie konnten sich ja offenbar in aller Ruhe umschauen -und das ganz ohne Durchsuchungsbefehl«, fiel ich ihm ins Wort.
»Er war sehr entgegenkommend«, erwiderte er ungerührt.
»Reden wir darüber, was sich hier oben bei ihm abspielt.« Er tippte sich an den Schädel. »Auf jeden Fall ist er ein ganz kluger Kopf. Im ganzen Haus liegen Bücher, Zeitschriften und Zeitungen herum. Und stellen Sie sich vor: Er hat Fernsehberichte über diesen Fall aufgezeichnet und Artikel darüber ausgeschnitten.«
»Das tut vermutlich fast jeder, der auf
Weitere Kostenlose Bücher