Der Keim des Verderbens
der Mülldeponie arbeitet«, gab ich zu bedenken.
Aber Ring interessierte sich nicht im geringsten für das, was ich sagte.
»Er liest alle möglichen Krimis. Thriller. Das Schweigen der Lämmer, Der rote Drache. Tom Clancy, Ann Rule ...«
Wieder unterbrach ich ihn. Das konnte ich mir keine Sekunde länger anhören. »Sie haben gerade den typischen Lesestoff eines durchschnittlichen Amerikaners aufgezählt. Ich kann Ihnen zwar nicht vorschreiben, wie Sie Ihre Ermittlungen durchzuführen haben, aber ich möchte Sie doch daran erinnern, daß es vielleicht besser wäre, sich an die Beweise zu halten .«
»Das tue ich doch«, gab er zurück. »Genau das tue ich.«
»Genau das tun Sie nicht. Sie kennen die Beweislage ja noch nicht einmal. Sie haben noch keinen einzigen Bericht von mir oder aus den Labors erhalten. Sie haben auch noch kein Täterprofil vom FBI bekommen. Haben Sie überhaupt schon mit Marino oder Grigg gesprochen?«
»Wir verpassen uns ständig.« Er stand auf und zog sein Jackett wieder an. »Ich brauche diese Berichte.« Das klang wie ein Befehl. »Die Staatsanwältin wird Sie anrufen. Übrigens, wie geht es Lucy?«
Daß er den Namen meiner Nichte kannte, gefiel mir gar nicht, und mein überraschter, wütender Blick verriet meine Gefühle.
»Ich wusste nicht, daß Sie beide sich kennen«, erwiderte ich kühl.
»Ich habe an einer ihrer Vorlesungen teilgenommen, vor ein paar Monaten, glaube ich. Es ging um CAIN.«
Ich griff mir einen Stapel Totenscheine aus dem Eingangskorb und begann sie abzuzeichnen.
»Danach ist sie mit uns rüber zum HRT gegangen und hat uns ihre Roboter vorgeführt«, sagte er, schon in der Tür. »Hat sie eigentlich einen Freund?«
Ich war sprachlos.
»Ich meine, ich weiß, daß sie mit einer anderen Agentin zusammenlebt. Aber das ist nur ihre Mitbewohnerin, oder?«
Es war klar, worauf er hinauswollte. Wie erstarrt schaute ich ihm nach, während er pfeifend davonging. Wutschnaubend klaubte ich ein paar Papiere zusammen und wollte gerade meinen Schreibtisch verlassen, als Rose hereinkam.
»Der kann seine Schuhe unter meinem Bett parken, wann immer er will«, säuselte sie Ring hinterher.
»Also bitte!« Das war zuviel für mich. »Ich habe Sie für eine intelligente Frau gehalten, Rose.«
»Ich glaube, Sie brauchen einen heißen Tee«, sagte sie.
»Kann sein.« Ich seufzte.
»Aber zuerst wäre da noch etwas anderes«, sagte sie in ihrer geschäftsmäßigen Art. »Kennen Sie einen Mann namens Keith Pleasants?«
»Was ist mit ihm?« Mir blieb der Verstand stehen.
»Er sitzt in der Lobby«, sagte sie. »Er ist sehr aufgebracht und will erst wieder gehen, wenn Sie ihn empfangen haben. Ich wollte schon den Sicherheitsdienst rufen, aber ich dachte, ich frage lieber .« Mein Gesichtsausdruck brachte sie unvermittelt zum Schweigen.
»Großer Gott«, rief ich entsetzt. »Haben er und Ring einander gesehen?«
»Keine Ahnung«, sagte sie, und plötzlich war sie selbst ganz bestürzt. »Ist irgendwas nicht Ordnung?«
»Gar nichts ist in Ordnung.« Ich seufzte und ließ die Papiere wieder auf meinen Schreibtisch fallen.
»Soll ich nun den Sicherheitsdienst rufen oder nicht?«
»Nein.« Ich ging rasch an ihr vorbei.
Scharfen Schrittes durcheilte ich den Flur und bog um eine Ecke in die Lobby, in der es einfach nicht gemütlich werden wollte, egal, wieviel Mühe ich mir damit gab. Weder geschmackvolle Möbel noch Drucke an den Wänden konnten darüber hinwegtäuschen, welche furchtbaren Umstände die Menschen hierherführten. Wie Keith Pleasants saßen sie stocksteif auf einem blaugepolsterten Sofa, das neutral und besänftigend wirken sollte. Unter Schock stehend, starrten sie ins Nichts oder weinten.
Als ich die Tür aufstieß, sprang er mit geröteten Augen auf.
Er stürzte sich geradezu auf mich, und ich wusste nicht recht, ob Wut oder Panik ihn trieb. Einen Moment lang glaubte ich, er würde mich entweder packen oder schlagen. Aber er ließ die Hände linkisch wieder sinken und starrte mich wütend an. Seine Miene verfinsterte sich, und dann kochte seine Empörung über.
»Sie haben kein Recht, so was über mich zu sagen!« stieß er mit geballten Fäusten hervor. »Sie kennen mich doch gar nicht! Wissen überhaupt nichts über mich!«
»Regen Sie sich nicht auf, Keith«, sagte ich ruhig, aber bestimmt.
Ich bedeutete ihm, wieder Platz zu nehmen, und zog einen Stuhl heran, so daß ich ihm gegenübersaß. Er atmete schwer und zitterte. Seine Augen waren voller
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