Der Keim des Verderbens
genau, was uns fehlt. Ein Mörder, der so ist wie wir.«
Er legte die Ränder fest und schob die Fotos noch einmal zurecht. »Mal sehen, was passiert, wenn ich die Bilder übereinanderlege.«
Das Ergebnis war erstaunlich: Die Knochenenden und selbst das zerfetzte Gewebe am durchtrennten Hals stimmten überein.
»Das ist ja wohl eindeutig«, erklärte ich.
»Keine Frage«, stimmte er zu. »Ich drucke das mal eben aus.«
Er klickte auf die Maus, und der Laserdrucker begann zu summen. Dann nahm er die Fotos vom Scanner, legte das von den Händen und Füßen obendrauf und schob es so lange hin und her, bis es genau in der Mitte lag. Als er begann, die Darstellung zu vergrößern, wurde der Anblick noch haarsträubender. Das Blut, das das Tuch leuchtendrot befleckte, sah aus, als wäre es gerade vergossen worden. Der Mörder hatte die Füße fein säuberlich wie ein Paar Schuhe nebeneinandergestellt, die Hände wie Handschuhe Seite an Seite gelegt.
»Er hätte sie mit der Handfläche nach unten legen sollen«, sagte Vander. »Warum hat er das wohl nicht getan?«
Er begann, alles, was störte, wie das Blut und die Struktur der blauen Tischdecke, herauszufiltern, so daß nur die Dinge, auf die es ankam, übrigblieben.
»Können Sie die Papillarlinien sichtbar machen?« fragte ich und beugte mich so dicht zu ihm hinüber, daß ich sein würziges After-shave riechen konnte.
»Ich denke schon«, sagte er.
Seine Stimme klang plötzlich beschwingt, denn für ihn gab es keine schönere Beschäftigung als die Entzifferung der Hieroglyphen an Fingern und Füßen. Dieser Mann mit seiner liebenswürdigen, zerstreuten Art hatte Tausende ins Zuchthaus und Dutzende auf den elektrischen Stuhl gebracht. Er vergrößerte das Foto und wies den unterschiedlichen Graustufen willkürlich gewählte Farben zu, damit wir sie besser unterscheiden konnten. Die Daumen waren klein und blaß wie altes Pergament. Es waren Papillarlinien sichtbar.
»Die anderen Finger können wir vergessen«, sagte er und starrte wie in Trance auf den Bildschirm. »Sie sind zu stark gekrümmt, als daß ich was erkennen könnte. Aber die Daumen sehen verdammt gut aus. Ich halt' das mal fest.« Er klickte in ein Menü und speicherte das Bild auf der Festplatte des Computers. »Damit werde ich mich jetzt eine Weile beschäftigen.«
Das war mein Stichwort zum Aufbruch, und ich schob meinen Stuhl zurück.
»Sobald ich etwas habe, werde ich es durchs AFIS schicken«, sagte er. Das AFIS ist das Automated Fingerprint Identification System, eine Datenbank, über die man unbekannte Fingerabdrücke mit Millionen anderer vergleichen kann.
»Das wäre großartig«, sagte ich. »Und ich fange mit HALT an.«
Er warf mir einen neugierigen Blick zu, denn das Homicide Assessment and Lead Tracking System ist eine Datenbank zur Aufklärung von Mordfällen, die die Polizei von Virginia in Zusammenarbeit mit dem FBI führt. Sie wird zu Rate gezogen, wenn der Verdacht besteht, daß Opfer oder Täter aus Virginia stammen.
»Wir haben zwar Grund zu der Annahme, daß die anderen Opfer nicht von hier sind«, erklärte ich, »doch ich denke, wir sollten alle Möglichkeiten ausschöpfen, die uns zur Verfügung stehen. Einschließlich regionaler Datenbanken.«
Vander justierte immer noch an seinen Geräten herum und starrte auf den Bildschirm.
»Hauptsache, ich muss nicht die Formulare ausfüllen«, antwortete er.
Der Flur war zu beiden Seiten von Kisten und weißen Kartons mit der Aufschrift BEWEISMATERIAL gesäumt, die sich bis zur Decke stapelten. Wissenschaftler eilten geschäftig vorüber, in der Hand Papiere und Präparate, die vielleicht jemanden wegen Mordes vor Gericht bringen würden. Wir grüßten einander, ohne unseren Schritt zu verlangsamen. Ich war auf dem Weg ins Spurensicherungslabor. In dem großen, stillen Raum beugten sich weitere Wissenschaftler in weißen Kitteln über Mikroskope oder arbeiteten an ihren Schreibtischen. Auf schwarzen Arbeitsflächen lagen hier und da geheimnisvolle, in braunes Papier eingewickelte Bündel.
Aaron Koss stand vor einer violett leuchtenden UV-Lampe und untersuchte einen feingeweblichen Schnitt durch ein Mikroskop, um zu sehen, was die reflektierten langwelligen Strahlen ihm verraten würden.
»Guten Morgen«, sagte ich.
»Gleichfalls.« Koss grinste.
Er war dunkelhaarig und attraktiv und wirkte viel zu jung für einen Mikrospurexperten. An diesem Morgen trug er verblichene Jeans und Turnschuhe.
»Keinen Gerichtstermin
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