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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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fühlte mich schwach.
    »Serienmörder hier, Serienmörder in Irland, Vergewaltigungen, Zerstückelungen ...«
    Ich sah sie an.
    Sie seufzte. »Haben Sie jemals gedacht, Sie hätten lieber bei der klinischen Pathologie bleiben sollen?«
    »Die Killer, mit denen Sie es zu tun haben, sind nur schwerer zu erkennen«, entgegnete ich.
    Der einzige Weg nach Tangier Island führt übers Wasser oder durch die Luft. Da es auf der Insel nicht viel Tourismus gibt, verkehren nur wenige Fähren und ab Mitte Oktober gar keine mehr. Dann muß man nach Crisfield, Maryland, oder wie ich achtundfünfzig Meilen nach Reedville fahren, wo die Küstenwache mich abholen sollte. Ich verließ das Büro, als die meisten dort bereits ans Mittagessen dachten. Es war ein ungemütlicher Nachmittag, der Himmel war bewölkt, und es wehte ein kräftiger, kalter Wind.
    Ich hatte Rose aufgetragen, die Centers for Disease Control and Prevention, kurz: CDC, die Zentren für Seuchenbekämpfung in Atlanta, anzurufen, denn jedesmal, wenn ich es probiert hatte, war ich in der Warteschleife gelandet. Außerdem sollte sie versuchen, Marino und Wesley zu erreichen und ihnen mitteilen, wo ich hinfuhr und daß ich mich mit ihnen in Verbindung setzen würde, sobald ich konnte. Ich nahm die 64 East bis zur 360 und befand mich bald in ländlicher Umgebung.
    Der Mais verlieh den Feldern eine gelblichbraune Farbe. Falken stießen herab und schwangen sich wieder empor. In diesem Teil der Welt gab es Baptistenkirchen, die Namen wie Faith, Victory oder Zion trugen. Die Bäume waren von Kudzu eingehüllt wie von Kettenhemden, und am Northern Neck auf der anderen Seite des Rappahannock River standen weitverstreut Herrenhäuser, die die derzeitige Besitzergeneration sich nicht mehr leisten konnte. Ich kam an vielen Feldern und Kreppmyrten vorbei und passierte schließlich das Northumberland Courthouse, ein Gebäude, das noch aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg stammte.
    In Heathsville gab es Friedhöfe mit Plastikblumen und wohlgepflegten Gräbern, und hier und da stand ein bemalter Anker in einem Garten. Ich bog ab und fuhr durch dichte Kiefernwälder und an Maisfeldern vorbei, die so dicht an der schmalen Straße lagen, daß ich die braunen Stengel aus dem Fenster hätte greifen können. An der Buzzard's Point Marina lagen Segelboote und die Chesapeake Breeze vertäut, ein rotweiß-blauer Vergnügungsdampfer, der noch bis zum Frühjahr im Hafen bleiben würde. Ohne Probleme fand ich einen Parkplatz, und im Kassenhäuschen saß niemand, der mir Geld abnehmen wollte.
    Am Pier wartete ein weißes Boot der Küstenwache auf mich.
    Die Mannschaft trug hellorange-blaue Wetterschutzanzüge, genannt Mustang-Suits. Einer der Männer kam auf den Pier geklettert. Er war älter als die anderen, hatte dunkle Augen und Haare und trug eine Neun-Millimeter-Beretta an der Hüfte.
    »Dr. Scarpetta?« Er strahlte Autorität aus, ohne sich groß ins Zeug zu legen.
    »Ja«, sagte ich. Ich hatte mehrere Gepäckstücke dabei, darunter ein schwerer Hartschalenkoffer mit meinem Mikroskop und der MicroCam.
    »Kommen Sie, ich nehme Ihnen etwas ab.« Er streckte die Hand aus. »Ich bin Ron Martinez, der Revierleiter vom Stützpunkt Crisfield.«
    »Danke. Es ist wirklich nett von Ihnen, daß Sie mich abholen«, sagte ich.
    »Das tun wir doch gern.«
    Zwischen dem Pier und dem zwölf Meter langen Patrouillenboot tat sich immer wieder ein Abgrund auf, während die Brandung das Schiff gegen den Pier drängte. Ich griff nach der Reling und schwang mich an Bord. Martinez kletterte eine steile Leiter hinab, und ich folgte ihm in einen mit Rettungsgeräten, Feuerwehrschläuchen und riesigen Taurollen vollgestopften Frachtraum. Dieselabgase hingen schwer in der Luft. Er verstaute mein Gepäck in einer sicheren Ecke und vertäute es. Dann reichte er mir einen Mustang-Suit, eine Rettungsweste und Handschuhe.
    »Das müssen Sie alles anziehen, für den Fall, daß Sie über Bord gehen. Kein schöner Gedanke, aber es kann passieren.
    Die Wassertemperatur liegt nur knapp über zehn Grad.« Ich spürte seinen prüfenden Blick. »Vielleicht sollten Sie besser hier unten bleiben«, fügte er hinzu, während das Boot gegen den Pier stieß.
    »Ich werde zwar nicht seekrank, aber ich leide an Platzangst«, erklärte ich, setzte mich auf einen schmalen Absatz und zog mir die Stiefel aus.
    »Wie Sie wollen, aber es wird eine rauhe Überfahrt werden.«
    Er stieg wieder nach oben, und ich mühte mich mit meinem Anzug ab,

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