Der Keim des Verderbens
dessen Reiß- und Klettverschlüsse mich auf eine harte Geduldsprobe stellten. Er war mit PVC gefüllt, das mich ein wenig länger am Leben halten sollte, falls das Boot kenterte. Ich zog meine Stiefel wieder an und dann die Rettungsweste mitsamt Messer und Pfeife, Signalspiegel und Leuchtraketen. Schließlich kletterte ich wieder zur Kabine hinauf, denn dort unten wollte ich um keinen Preis bleiben. Die Besatzung schloß die Abdeckplatte über dem Maschinenraum, und Martinez schnallte sich auf dem Pilotensitz an.
»Der Wind kommt mit zweiundzwanzig Knoten aus Nordwest«, sagte ein Bootsmann. »Die Wellenhöhe beträgt einen Meter zwanzig.«
Martinez legte ab. »Das ist das Ungünstige an einer Bucht«, sagte er zu mir. »Die Wellen folgen so dicht aufeinander, daß man nie so einen gleichmäßigen Rhythmus findet wie auf dem Meer. Es ist Ihnen ja sicherlich klar, daß wir jederzeit woanders hinbeordert werden können. Da kein anderes Patrouillenboot im Einsatz ist, kommen wir als einzige in Frage, wenn hier draußen jemand absäuft.«
Wir fuhren jetzt langsam an alten Häusern mit Dachterrassen und Boccia-Spielflächen vorbei.
»Wenn jemand in Seenot ist, müssen wir hin«, fuhr er fort, während ein Besatzungsmitglied die Instrumente überprüfte.
Ich beobachtete, wie ein Fischerboot an uns vorbeifuhr. Ein alter Mann in hüfthohen Stiefeln stand am Steuer des Außenbordmotors. Er starrte uns an, als wären wir Aussätzige.
»Das heißt, es könnte Sie sonstwohin verschlagen.« Es machte Martinez sichtlich Spaß, auf diesem Punkt herumzureiten.
»Das wäre nicht das erste Mal«, sagte ich. Ein abscheulicher Geruch stieg mir in die Nase.
»Aber irgendwie bringen wir Sie da schon hin, genau wie diesen anderen Arzt. Hab' seinen Namen nicht mitgekriegt.
Seit wann arbeiten Sie für ihn?«
»Dr. Hoyt und ich kennen uns schon sehr lange«, sagte ich kühl.
Vor uns lagen rostende Fischverarbeitungsbetriebe, über denen Rauch aufstieg. Als wir näherkamen, bemerkte ich steil in den Himmel ragende Förderbänder mit Millionen von Heringen darauf, die zu Dünger und Öl verarbeitet werden sollten. Möwen kreisten am Himmel, warteten auf Duckdalben und sahen gierig zu, wie die winzigen, stinkenden Fische vorüberzogen, während wir an den Ruinen weiterer Fabriken vorbeikamen, von denen Backsteine in die Bucht bröckelten. Der Gestank war mittlerweile unerträglich, und dabei war ich mit Sicherheit härter im Nehmen als die meisten.
»Katzenfutter«, sagte einer der Männer und verzog das Gesicht.
»Kein Wunder, daß Katzen aus dem Maul stinken.«
»Hier würde ich um keinen Preis wohnen wollen.«
»Fischöl ist sehr kostbar. Die Algonquin-Indianer haben diese ekligen, kleinen Dinger benutzt, um ihren Mais zu düngen.«
»Na, du weißt ja mal wieder bestens Bescheid«, sagte Martinez.
»So was lernte man bei uns in der Schule. Bei euch nicht?«
»Wenigstens muß ich mein Geld nicht in einem derartigen Gestank verdienen. Es sei denn, ich bin mit einem Schlep wie dir hier draußen.«
»Was zum Teufel ist ein Schlep?«
Während das Wortgeplänkel sich fortsetzte, gab Martinez Gas. Die Maschinen rumpelten, und der Bug tauchte ins Wasser ein. Wir schossen an Unterständen für die Entenjagd und Bojen vorbei, die Krabbenkörbe markierten, und in der Gischt hinter uns schillerten Regenbögen. Martinez beschleunigte auf dreiundzwanzig Knoten, und wir bogen ins tiefblaue Wasser der Bucht ein, auf dem an diesem Tag kein einziger Vergnügungsdampfer unterwegs war. Nur ein Ozeanriese dümpelte als dunkler Berg am Horizont.
»Wie weit ist es denn?« fragte ich Martinez. Ich hielt mich krampfhaft an seiner Stuhllehne fest und war froh, daß ich den Anzug anhatte.
»Alles in allem achtzehn Meilen«, schrie er gegen den Lärm an. Wie ein Surfer ritt er die Wellen, glitt seitlich hinein und darüber hinweg, die Augen immer geradeaus. »Normalerweise dauert es nicht lange. Aber heute ist es schlimmer als sonst. Viel schlimmer sogar.«
Die Besatzung behielt laufend die Tiefen- und Richtungsmesser im Auge, während das Positionsbestimmungssystem GPS per Satellit den Weg wies. Inzwischen sah ich nur noch Wasser. Die Bucht fiel von allen Seiten über uns her. Gewaltige Brecher erhoben sich vor und hinter uns, Wellen klatschten aufeinander wie Hände.
»Was können Sie mir über die Insel erzählen?« Ich mußte fast brüllen.
»Ungefähr siebenhundert Einwohner. Bis vor etwa zwanzig Jahren haben sie ihren eigenen Strom
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