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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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erzeugt. Es gibt dort einen kleinen Behelfsflugplatz, den sie praktisch aus dem Meer gebaggert haben. Verdammt!« Das Boot schlug schwer in einem Wellental auf. »Den Brecher hätten wir beinahe geschnitten. So was bringt einen im Nu zum Kentern.«
    Mit angespanntem Gesicht versuchte er die Bucht im Griff zu behalten wie ein Rodeoreiter sein Pferd. Seine Männer ließen sich nicht aus der Ruhe bringen, doch sie waren ständig in Alarmbereitschaft und hielten sich fest, wo sie nur konnten.
    »Die Menschen dort leben von Blue Crabs und Weichschalenkrebsen. Mit denen beliefern sie das ganze Land«, fuhr Martinez fort. »Es kommen sogar immer wieder reiche Leute mit Privatmaschinen angeflogen, nur um Krabben zu kaufen.«
    »Zumindest behaupten sie, daß sie Krabben kaufen«, bemerkte jemand.
    »Wir haben tatsächlich ein Problem mit Trunksucht, Alkoholschmuggel und Drogen«, fuhr Martinez fort. »Aber wenn wir bei denen an Bord gehen, um die Schwimmwesten zu überprüfen und sie an das Betäubungsmittelgesetz zu erinnern, bezeichnen sie das als Inspektion.« Er lächelte mir zu.
    »Ja, und wir sind der Wachdienst«, spottete einer der Männer.
    »Paß auf, da kommt der Wachdienst.«
    »Die haben ihre eigene Sprache«, sagte Martinez, während er über eine weitere Welle schaukelte. »Sie werden vermutlich Probleme haben, sie zu verstehen.«
    »Wann ist die Krabbensaison zu Ende?« fragte ich, denn mehr als die sprachlichen Eigenheiten der Bewohner von Tangier beschäftigte mich die Frage, was von hier exportiert wurde.
    »Um diese Jahreszeit fangen sie die Krabben mit Schleppnetzen. Damit sind sie den ganzen Winter über beschäftigt. Sie arbeiten vierzehn, fünfzehn Stunden am Tag, sind manchmal eine Woche lang ununterbrochen auf See.«
    Steuerbords ragte in der Ferne eine große, dunkle Masse aus dem Wasser wie ein Wal. Einer der Männer bemerkte meinen fragenden Blick.
    »Ein Kriegsschiff aus dem Zweiten Weltkrieg, das auf Grund gelaufen ist«, sagte er. »Die Marine benutzt es als Zielscheibe für Schießübungen.«
    Endlich wurden wir langsamer. Wir näherten uns der Westküste, an der aus Gesteinsbrocken, Wrackresten, rostigen Kühlschränken, Autos und anderem Müll ein Schutzwall errichtet worden war, damit das Meer nicht noch mehr von der Insel abnagen konnte. Sie war so flach, daß sie sich kaum über die Bucht erhob. Die höchsten Punkte lagen nur wenige Meter über dem Meeresspiegel. Häuser, ein Kirchturm und ein blauer Wasserturm thronten stolz am Horizont dieser winzigen, unfruchtbaren Insel, auf der die Menschen auf kleinstem Raum dem schlimmsten Wetter trotzten.
    Langsam tuckerten wir an Marschen und Watt entlang. Auf alten, zahnlückigen Piers türmten sich Krabbenkörbe aus Maschendraht, die mit bunten Korkschwimmern versehen waren. Holzboote, teils mit rundem, teils mit eckigem Heck, an denen der Kampf mit den Wellen seine Spuren hinterlassen hatte, zerrten an ihrer Vertäuung. Das Geräusch der Bootssirene zerriß die Luft, als wir in den Hafen einfuhren.
    Inselbewohner in Latzhosen wandten uns ihre rauhen Gesichter zu, deren Ausdruckslosigkeit vermuten ließ, daß sie uns nicht unbedingt freundlich gesonnen waren.
    Während wir in der Nähe der Treibstoffpumpen festmachten, werkelten sie in ihren Fischerkaten und arbeiteten an ihren Netzen.
    »Der Polizeichef heißt Crockett - wie fast alle hier«, sagte Martinez, derweil die Besatzung das Boot vertäute. »Davy Crockett, und das ist kein Witz.« Suchend ließ er den Blick über den Pier und eine Imbißstube schweifen, die zu dieser Jahreszeit nicht geöffnet zu sein schien. »Kommen Sie.«
    Ich folgte ihm vom Boot hinunter. Der Wind, der vom Wasser kam, war so kalt wie sonst im Januar. Wir waren noch nicht weit gegangen, als mit hoher Geschwindigkeit ein kleiner Pick-up um eine Ecke bog. Die Reifen knirschten laut auf dem Kies. Er hielt, und ein nervöser junger Mann stieg aus.
    Seine Uniform bestand aus Blue Jeans, einer dunklen Winterjacke und einer Kappe mit der Aufschrift Tangier Police.
    Sein Blick wanderte zwischen Martinez und mir hin und her und blieb dann an dem Koffer in meiner Hand hängen.
    »Also dann«, sagte Martinez zu mir. »Ich überlasse Sie jetzt Davy.« Zu Crockett gewandt fügte er hinzu: »Das ist Dr. Scarpetta.«
    Crockett nickte. »Kommen Sie beide mit.«
    »Die Frau Doktor geht allein.«
    »Ich fahre sie hin.«
    Seinen Dialekt hatte ich früher schon mal in abgelegenen Winkeln in den Bergen gehört, wo die Menschen noch

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