Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
blieb nicht mehr viel Zeit.
Braedon holte tief Luft und stürmte mit der Schulter zuerst gegen die kleine Eichentür, die krachend aus ihren Angeln flog.
24
Nicht einmal die dicht gedrängt stehenden Pilger konnten die Geschwister vor den kalten grünen Augen schützen, die den überfüllten Almosenraum absuchten. Ariana hielt sich dicht bei ihrem Bruder, der sie nun tiefer in das lange Gewölbe führte, dessen Decke von sechs hohen Säulen getragen wurde. Als die Geschwister den Sockel der ersten erreicht hatten, gesellten sie sich zu einigen Gläubigen dazu, die einen kleinen Kreis gebildet hatten, die Köpfe gesenkt hielten und in einer Sprache vor sich hin murmelten, die Ariana unbekannt war.
Auf ein Nicken ihres Bruders hin nahm auch Ariana die Haltung der Pilger ein. Sie wisperte ein Gebet, während Kenrick um die Säule herum spähte, um zu sehen, wie weit le Nantres und dessen Helfershelfer inzwischen vorgedrungen waren. Draec und eine kleine Schar bewaffneter Ritter, die es an diesem heiligen Ort nicht für notwendig hielten, den wahren Grund ihres Kommens zu verheimlichen, waren erst vor ein paar Momenten hier aufgetaucht. Wie Raubtiere schlichen sie an den frommen Gläubigen vorbei, die um Almosen und Unterkunft baten und sich vom Abt segnen ließen. Dann teilten sich die Jäger auf und ließen ihre unerbittlichen Blicke durch den Raum schweifen.
Ariana konnte die wachsende Angst nicht mehr ertragen. Kaum merklich hob sie den Kopf und wandte sich im Flüsterton an Kenrick. »Wo sind sie jetzt? Haben sie uns schon gesehen?«
»Ich bin mir nicht sicher. Aber wir können hier nicht länger bleiben und darauf warten, dass sie uns finden.« Mit angespannter Miene zog er sich wieder hinter die Säule zurück. »Braedon bat mich, dich beim ersten Anzeichen von Gefahr von hier fortzubringen.«
»Mich fortbringen?«
Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, dass sie ohne Braedon nirgendwohin gehen würde, aber Kenrick schüttelte bereits den Kopf. Sein Entschluss stand fest. »Es ist sowieso zu spät, um die Abtei zu verlassen. Sie würden uns dabei entdecken. Wir müssen also einen Ort finden, an dem du dich verstecken kannst, bis das alles vorbei ist.«
»Bis das alles vorbei ist? Wie meinst du das – Kenrick, was hast du vor?«
Als die Hand ihres Bruders sich um den Knauf von Braedons Schwert schloss, wusste Ariana, dass er nicht zögern würde, von ihm Gebrauch zu machen. Kenrick warf einen schnellen Blick über die Schulter auf die Menge der Pilger, nahm Ariana bei der Hand und zog seine Schwester mit sich fort. »Hier entlang, schnell.«
Gemeinsam erreichten sie eine dunkle Wendeltreppe, die in den nächsten Stock führte. Stets darauf bedacht, keinen Lärm zu machen, zerrte Kenrick seine Schwester in eine Kammer und dann in einen dahinter liegenden Gang. Von ferne waren plötzlich Schritte zu hören – der Klang schwerer Stiefel hallte auf dem Steinboden wider. Kenrick begann zu laufen und zog Ariana mit sich, als sie von einer Kammer zur nächsten eilten.
Schließlich gelangten sie in eine Krypta mit hohem Deckengewölbe. Den runden Raum stützten massige Säulen aus glattem Stein, die wie die Hauptstämme von riesigen Bäumen zusammenstanden. Von dem Raum gingen mehrere Türen ab: Er musste eine Art Kreuzung sein. Ehe die Geschwister sich noch für einen der Ausgänge entschieden hatten, stürmte schon einer der Verfolger hinter ihnen in die Krypta – der größte von le Nantres’ Begleitern, ein hässlicher Kerl mit einem schwarzen Vollbart.
Er wollte gerade die Hand nach Ariana ausstrecken, als Kenrick seine Schwester hinter sich schob und das Schwert zog. »Lauf, Ariana! Versteck dich!«
Stumm schüttelte sie den Kopf. Sie hasste den Gedanken, sich selbst in Sicherheit zu bringen, wenn Kenrick sie mit seinem Leben beschützte. Einen Moment lang stand sie wie erstarrt da und beobachtete, wie ihr Bruder sich dem Widersacher entgegenstellte; im Schein der Fackeln schimmerte Braedons Schwert wie flüssiges Silber. Für gewöhnlich war Kenrick kräftig und trainiert, aber er litt immer noch an den Folgen der Misshandlungen, und in letzter Zeit war er es auch eher gewohnt gewesen, einen Federkiel denn ein Schwert in der Hand zu halten. Entsetzt starrte sie auf ihren Bruder. Sie befürchtete, er würde vor ihren Augen sterben.
»Lauf, Ariana! Jetzt!«
Der Nachdruck in seiner Stimme erlöste sie aus ihrer Erstarrung. Sie rannte zwischen zwei der Säulen hindurch und floh in die Dunkelheit
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