Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
Tunika war mit Blut besudelt. Einen Augenblick lang befürchtete Ariana, das Blut stamme womöglich von einer tödlichen Verletzung, aber als sie Kenrick genauer betrachtete, sah sie, dass er keine ernsten Wunden davongetragen hatte. Noch nicht, fügte sie im Stillen hinzu, als sie auf die todbringende Klinge starrte, die so gefährlich nah an seiner Kehle aufblitzte.
Endlich ließ Ferrand seine fettige Hand sinken, und le Nantres kam näher. »Erzählt mir, wohin le Chasseur verschwunden ist, Lady Ariana.«
Sie löste ihren besorgten Blick von dem ihres Bruders. »Ich habe keine Ahnung, wo er ist.«
Einen Moment lang verbargen tiefschwarze Wimpern le Nantres’ durchdringend grüne Augen. Weder seiner gleichgültigen Miene noch seinem beherrschten Tonfall war zu entnehmen, ob ihre Antwort ihn verärgert hatte. »Ich weiß, dass er hierhergekommen ist, um sich einen der Steine des Kelchs zu holen. Ich muss von Euch wissen, wo er ist. Das würde es für Euch alle einfacher machen, ich verspreche es.«
»Eure Versprechen sind bedeutungslos. Ich habe gehört, wie viel Euer Wort wert ist, und weiß, dass man Euch nicht trauen darf.« Besorgt sah sie zu ihrem Bruder hinüber und merkte, dass er ihr kaum merklich zunickte. Er teilte ihre Einschätzung. Wie sie war auch er der Überzeugung, dass der Drachenkelch niemals in le Nantres’ Hände fallen durfte. »Ich würde Euch nicht sagen, wo Braedon ist, selbst wenn ich es wüsste. Wenn Ihr vorhabt, uns zu töten, dann werdet Ihr es ohnehin tun, ganz gleich, was ich sage.«
»Eure tapferen Worte sind bewundernswert, teure Dame, aber glaubt ja nicht, meine Methoden zu kennen … oder gar meine tieferen Beweggründe. Der Fehler, den Ihr jetzt macht, wird schreckliche Folgen haben, das versichere ich Euch.«
Als er sie anstarrte, ließ sie die Gefühlskälte in seinen Augen erschauern. Wenn Draec le Nantres überhaupt ein Herz hatte, so lag es unter einem ganzen Berg von kalten Steinen verschüttet. Er verzog die Lippen zu einem beinahe sinnlichen Lächeln, obwohl er eben erst eine Drohung ausgesprochen hatte, die noch in dem heiligen Gang der Abtei nachzuhallen schien.
»Ihr wisst, was ich meine«, sagte er. »Und Ihr habt Angst.«
Das konnte Ariana nicht leugnen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Immer unregelmäßiger und flacher kamen ihre Atemzüge, je länger le Nantres sie ansah und darauf wartete, dass sie ihm verriet, was er wissen wollte. Sollte er doch bis in alle Ewigkeit warten, beschloss sie trotzig und versuchte vergeblich sich gegen die aufsteigende Furcht zu wehren, die sie zu überwältigen drohte. Zu ihrem Schreck trat der dunkelhaarige Ritter auf sie zu, während Ferrand seinen Arm nach wie vor um ihre Taille geschlungen hatte. Wie ein Raubvogel, der seine Beute taxierte, kam le Nantres mit geschmeidigen Bewegungen näher.
Für einen Moment dachte Ariana darüber nach, dem Ritter einen Schlag zu versetzen. In ihr brannte das Bedürfnis, ihrer Wut freien Lauf zu lassen, und hätte Ferrand nicht ihre Arme festgehalten, so hätte sie genau das getan. Mit aufeinandergepressten Lippen starrte Ariana le Nantres in stillem Zorn an. Unwillkürlich ballte sie die Hände zu Fäusten, aber der Ritter begegnete dem zu vernachlässigenden Akt der Rebellion mit einem verächtlichen Laut.
»Unüberlegtes Handeln wird Euch nichts als Schwierigkeiten einbringen«, höhnte er. Er warf Ferrand einen Blick zu und befahl: »Bindet der Dame die Hände.«
»Lasst sie los«, schnaubte Kenrick, als die Anordnung ausgeführt wurde. Zornig funkelte er Draec le Nantres an. »Verflucht, gebt sie frei.« Er versuchte sich gegen den Griff seines Bewachers zu wehren, doch der stieß ihm das Knie in den Rücken. Der Schmerz raubte Kenrick für einen Moment die Luft, und er ging nur deshalb nicht zu Boden, weil der Bursche hinter ihm ihn mit groben Händen packte. Gespenstisch hallte Kenricks keuchender Atem in der Stille des Gangs wider.
Ariana zuckte zusammen, als sie sah, wie ihr Bruder sich unter Schmerzen krümmte. Tränen traten ihr in die Augen und liefen über ihre Wange. Mit der Zärtlichkeit eines Liebhabers fing le Nantres, der nun vor ihr stand, eine der Tränen mit seiner Fingerspitze auf. Sie konnte kaum noch frei atmen, so sehr schien der Ritter die Luft um sie herum zu vereinnahmen. Le Nantres streckte die Hand aus, umschloss Arianas Kinn und zwang sie, ihm in die unheilvoll funkelnden Augen zu sehen.
»Vielleicht braucht Ihr mir auch gar nicht zu sagen, wo
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