Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
verüble es dir immer noch, dass du dich wieder in Gefahr begeben hast, also erinnere mich nicht daran«, gab Braedon leise zurück und atmete noch einmal ihren warmen Duft ein, ehe er sich von ihr löste. »Wir müssen weiter. Je eher wir in die Abtei kommen, desto früher können wir sie wieder verlassen. Geh mit deinem Bruder. Ich werde zu euch stoßen, so schnell ich nur kann.«
»Sei vorsichtig«, mahnte sie und hielt seine Hand fest.
Braedon schenkte ihr ein unbekümmertes Lächeln, ahnte aber bereits, dass nicht alles reibungslos verlaufen würde. Er spürte, dass etwas Böses in der Luft lag, denn düstere Vorzeichen näherten sich aus Richtung der nachtschwarzen Küste der Normandie. Als er Kenrick, der gerade damit begonnen hatte, die Beine seines Pferds von Schlick zu säubern, einen Blick zuwarf, schaute dieser auf. Mit einer Kopfbewegung nahm Braedon ihn beiseite.
»Wurdet Ihr auf Eurem Weg nach Avranches verfolgt?«, fragte er leise, darauf bedacht, dass Ariana seine Besorgnis nicht hörte.
»Nicht, dass ich wüsste. Wir nahmen die Hauptstraße und ritten sehr schnell. Es war kaum jemand unterwegs. Falls es Verfolger gab, so waren sie so leise wie Geister.«
Zweifelsohne sind es Geister gewesen, dachte Braedon, und seine Stimmung verschlechterte sich. Er löste seinen Waffengurt und reichte ihn Arianas Bruder. »Nehmt mein Schwert, vielleicht werdet Ihr es brauchen.«
Kenrick legte den Gurt an. »Rechnet Ihr mit Schwierigkeiten?«
»Ich gehe fest davon aus. Ich zähle darauf, dass Ihr Ariana beschützen werdet. Sollte ich beim höchsten Stand der Flut immer noch nicht wieder bei Euch sein, so müsst Ihr mir versprechen, dass Ihr einen Weg finden werdet, Ariana sicher von der Insel nach Hause zu bringen. Wartet nicht länger als bis Mitternacht auf mich – habe ich Euer Wort darauf?«
»Ja«, versprach Kenrick. »Ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, dass Ariana die Entscheidung nicht mögen wird.«
»Lasst ihr keine Wahl.«
»Ihr seid ein guter Mann, le Chasseur.« Kenrick streckte ihm die Hand entgegen und brachte damit seine Achtung Braedon gegenüber zum Ausdruck. »Viel Glück auf Eurem Weg. Wo immer er Euch hinführen mag.«
Braedon ergriff die ausgestreckte Hand mit einem kurzen, anerkennenden Nicken, dann warf er einen letzten Blick auf Arianas hübsches Gesicht und wandte sich der dunklen Nordseite des Berges zu. Er war bereit, sich dem Schicksal zu stellen, das ihn im Innern der Abtei erwartete.
Ariana und Kenrick brauchten fast eine Stunde für den mühsamen Anstieg zur Abtei. Der Weg, der sich den steilen Hang des Berges hinaufschlängelte, war schmal und schien endlos. Da die Pferde noch zu erschöpft von der Durchquerung des Watts waren, um schon wieder Reiter tragen zu können, führten sie die Tiere an den Zügeln. Sie kamen an Fachwerkhäusern und einer Handvoll geschlossener Geschäfte vorbei. Der Weg selbst wurde von keiner Fackel erleuchtet, das einzige Licht kam von den Sternen am wolkenlosen Himmel und dem Vollmond, der in dieser Nacht riesig und unheimlich über der Insel hing.
Das Mondlicht löste in Ariana eine dunkle Vorahnung kommenden Unheils aus, während sie und Kenrick eine weitere steile Wegbiegung in Angriff nahmen. Die blassen Strahlen des Mondlichts ließen den perlmuttfarbenen Knauf von Braedons Schwert schimmern, das im Gehenk an Kenricks Seite hing. Offenbar rechnete Braedon damit, dass Ariana und Kenrick in der Abtei Gefahr drohte, sonst hätte er seine Waffe niemals abgegeben. Nun besaß er nur noch seinen Dolch, ein unzureichendes Mittel der Verteidigung, wenn er bei der Suche nach Calasaar auf Schwierigkeiten stoßen sollte.
Endlich erreichten sie den Gipfel. Salzig und kalt wehte der scharfe Wind von der See her, heulte um die Ecken des Klostergebäudes und drückte Ariana den Saum ihres Mantels gegen die Beine. Während sie mit einer Hand die Kapuze hielt, die von den starken Böen vom Kopf geweht zu werden drohte, ließ Ariana den Ehrfurcht gebietenden Anblick der mächtigen Abtei auf sich wirken. Kenrick stand neben ihr, schien jedoch weder von dem Wetter noch von dem stattlichen Bauwerk sonderlich beeindruckt zu sein. Seine Augen suchten die glitzernde, dunkle Wasseroberfläche ab, die nun den Berg vom Festland trennte.
»Was ist?«, fragte sie und folgte seinem Blick.
»Dort. Ungefähr auf halber Höhe der Bucht.«
Er brauchte nicht mehr zu sagen. Auch Ariana hatte jetzt den schwachen Schein einer einsamen Fackel entdeckt: ein unruhiger
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