Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
nur die reifsten Früchte sammelte und in das Körbchen legte. Die Handschuhe trug sie kaum noch, auch nicht mehr in seiner Nähe. Er lächelte, als er die dunkelblauen Flecken an ihren Händen sah, während sich das Körbchen mehr und mehr füllte. Eine besonders saftige Beere platzte zwischen ihren Fingern auf. Serena stieß einen Laut des Unmuts aus, steckte sich die zerquetschte Frucht dann in den Mund und leckte sich den Saft von den Fingerspitzen.
Rand unterdrückte ein verlangendes Seufzen, doch es waren nicht die Beeren, nach denen er sich sehnte.
Verstimmt blickte er zur Seite, auf der Suche nach Ablenkung. Nur wenige Schritte entfernt entdeckte er einen alten Ast im Dickicht. Sowie er ihn aufhob, kam unter der losen Rinde das glatte Eichenholz zum Vorschein. Rand nahm den Dolch zur Hand und schnitzte.
Eine ganze Weile hörte man nur den plätschernden Bach, das leise Rascheln der Beerenbüsche und das rhythmische Geräusch, das die Klinge auf dem Holz erzeugte. Schließlich streckte sich Serena mit einem zufriedenen Seufzer.
»Das müsste genügen«, sagte sie und hob das volle Körbchen auf ihren Schoß.
Sie war gerade im Begriff, sich zu erheben, als Rand zu ihr trat und neben ihr in die Hocke ging. Er hielt ihr etwas hin, die Finger zu einer Faust geschlossen. Serena sah ihn fragend an.
»Für dich«, sprach er, öffnete dann die Hand und lenkte Serenas Blick auf das Schnitzwerk.
»Oh!« Überrascht stellte Serena das Körbchen beiseite und nahm die kleine Taube in die Hand. Mit bewundernden Blicken betrachtete sie das winzige Kunstwerk von allen Seiten, als habe sie nie ein schöneres Geschenk erhalten. »Das hast du gemacht? Sieh dir den fein gearbeiteten Körper an, den zum Flügel gewandten Kopf. Ich kann sogar die Linien der Federn erkennen!«
»Gefällt sie dir?«
»Ja«, rief sie. »Sie ist wunderschön, Rand. Hab Dank. Ich mag sie sehr.«
Er zuckte die Schultern, als sei ihr Lob ihm unangenehm, dabei hatte er sich doch danach gesehnt. Dann wurde er nachdenklich, als er sah, wie sehr sie sich über ein einfaches Stück Holz freute. »Ich habe nicht mitgezählt, wie viele dieser Figuren ich in all den Jahren gefertigt habe. Die erste war ein kleines Pferd für Todd. Ich schnitzte es in der Nacht, als er geboren wurde. Dadurch konnte ich mich beruhigen und brauchte nicht wie ein eingesperrtes Tier im Wohnturm auf und ab zu schreiten, während ich auf die Geburt wartete. Als er älter war, schnitzte ich noch mehr Figuren. Mein Sohn hatte bereits eine ganze Sammlung von Rittern, als er zu laufen begann.«
Serena lachte und schüttelte den Kopf.
»Was hast du?«
»Nichts. Ich … « Wieder betrachtete sie die kleine Figur in ihrer Hand, während ihr Lächeln halb hinter ihrem langen dunklen Haar verborgen war. »Du überraschst mich, das ist alles.«
Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Warum überrasche ich dich?«
»Da du die Geduld für so etwas hast und mit dieser Sorgfalt arbeitest«, erwiderte sie und schaute zu ihm auf. »Deine Hände sind so groß, geschaffen für das Schwert. Da hatte ich nicht erwartet … «
»Ah. Du hast gedacht, ich sei nur für den Kampf gemacht, wie?«
Sie zuckte die Schultern.
»Diese Hände mögen voller Schwielen erscheinen«, räumte er ein und drehte die Handflächen nach oben, »aber sie können auch sanft sein. Bei dir wären sie immer sanft. Und sie verfügen über ein Geschick, das dich überraschen dürfte.«
Ihr Erröten löste auch in ihm eine heiße Woge aus. Ihre rosigen Wangen und das scheue Lächeln ermutigten ihn. Langsam hob er die Hand und berührte ihre heiße Wange.
»Diese Hände können zum Beispiel die Saiten einer Laute zupfen.«
Serena lächelte und blinzelte leicht verwirrt. »Einer Laute?«
»Du hast vielleicht nie eine gesehen«, meinte er und war bestürzt, dass sie noch nie den schönen Liedern der Troubadoure während eines Fests gelauscht haben sollte. »Die Laute ist ein Instrument, das aus hohlem Holz gefertigt wird. Sie hat die Form einer Birne, mit einem langen Hals und Saiten, die straff gespannt sind. Und wenn man sie anschlägt« – hierbei strich er ihr sanft über die samtweiche Wange – , »lässt sie die schönsten Melodien erklingen.«
»Und das kannst du spielen – eine Laute?«
»Ja, und sogar recht gut, möchte ich meinen.«
»Und dann singst du dazu?«
Er zuckte die Schultern. »Ein wenig.«
»Dann hast du mich in der letzten Nacht belogen«, rief sie in gespielter Empörung und
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