Der Kelim der Prinzessin
Templer. Und ich, William von Roebruk? Ich ließ es die anderen nicht spüren, doch schlug mir das Herz bis zum Hals. Die Aussicht, meine Schutzbefohlenen wieder zu sehen - denn daran zweifelte ich nicht -, machte schließlich den Sinn meines Lebens aus, wenn es denn überhaupt noch einen Sinn machen sollte! Auf der anderen Seite empfand ich eine starke Beklemmung, sie schnürte mir fast die Kehle ab. Wahrscheinlich hatte Lorenz von Orta sogar Recht: Es würde nie mehr so sein wie zuvor, aber wie würde es werden? Gewiss waren die Kinder ihren eigenen Weg gegangen, hatten sich naturgemäß verändert. Welchen Part würden sie mir zuweisen, welche Rolle würde das Schicksal spielen? Ich verspürte plötzlich Angst, große Angst. Ehe ich mich schelten konnte, gab der Rote Falke seine Anweisungen für jeden von uns, ich war ihm fast dankbar für dies unerbittliche dictum, - und schickte mich zurück auf den Montjoie, damit ich meine Chronik zum vorläu-64
figen Abschluss bringen und danach in einem geeigneten Versteck hinterlegen sollte.
Jetzt sitze ich in meiner Turmstube, das Versteck für den Packen eng beschriebener Pergamente habe ich auch schon gefunden und für Lorenz eine schriftliche Anleitung auf Lateinisch ersonnen, wie nur er, der Franziskaner, den geheimen Ort entdecken sollte. Dafür habe ich sie geschickt verschlüsselt - den berühmten Gruß unseres Ordens nutzend. Diese zuletzt verfasste Niederschrift muss der Chronik nicht beigefügt werden, handelt es sich doch nur zum geringsten Teil um den Weg von Rog und Yeza, sondern um den Beginn eines völlig neuen Abschnitts, der nun vor mir liegt. Ich verstaue daher in meiner Pilgertasche so viel an leeren Pergamentblättern, wie darin Platz finden, dazu ein sorgsam verschlossenes Gefäß mit teurer Tinte sowie reichlich geschnittene Federkiele. Als getreuer Chronist will ich mich insofern beweisen, dass ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit alles notieren werde, was mir auf der Suche nach dem Königlichen Paar widerfahren soll - und danach, wie alles
- zusammen mit meinen beiden Lieben - weitergeht, denn mittlerweile bin ich wild entschlossen, sie nie wieder zu verlassen - und wenn ich mit ihnen bis ans Ende der Welt wandern muss!
Ein Problem bereitet mir der Abschied von Odoaker. Als ich gestern Abend zum Montjoie zurückgekehrt bin, hat mich die treue Seele mit so traurigen Augen angeschaut, dass ich es nicht übers Herz bringe, meinen stummen Gefährten und einzigen Zuhörer mit der Wahrheit zu konfrontieren. Ich werde diese letzten Blätter auf meinem Arbeitstisch liegen lassen, sodass er, wenn er mich vermisst, sich selbst ein Bild von meiner Seelenpein machen kann. Dann werde ich mich bereits - hoffentlich von ihm unbemerkt - hinausgeschlichen haben, denn der Zeitpunkt der Verabredung mit dem Roten Falken und den Freunden aus Jerusalem rückt unerbittlich näher.
Aus der Küche des Sakristans ziehen liebliche Schwaden des bereits köchelnden Mittagsmahles zu mir hoch.
Odoaker wird es allein
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verzehren müssen, und ich werde mit knurrendem Magen mich davonstehlen. Ich könnte diesem mir lieb gewordenen Geschöpf nicht in die Augen sehen. Ich umarme ihn im Geiste und wünsche mir, dass er nicht schlecht denkt von dem Schreiber dieser Zeilen, den nun eine völlig anders geartete Pflicht ruft, stärkere Bande, als sein undankbarer Gast im Turm, dieser pflichtvergessene Franziskaner, selbst je gedacht. Fax et bonum, dies zum letzten Gruß!
William von Roebruk, O. E M.
ÜBER DIE UNTAT DES EMIRS VON MAYYAFARAQIN, diese dreiste, frevelhafte Verstümmelung eines
>Boten<, wurde im Lager der Mongolen nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt. Das empörende Verhalten dieses wild gewordenen Kurden beschäftigte hingegen zwangsläufig den Hofstaat und die Generäle des Il-Khan.
Im Beisein der Seldschukenprinzen erörterte der Oberkommandierende Kitbogha mit seinem General Sundchak die zu ergreifenden Maßnahmen, denn diese offene Auflehnung musste unverzüglich und strengstens geahndet werden, bevor das schlechte Beispiel Schule machte. Die beiden Prinzen Kaikaus und Alp-Kilidsch witterten die Chance, ihre Stellung bei den Mongolen aufzuwerten.
»Dieser ayubitische Räuber, dieser ungehobelte Viehdieb«, boten sie sich an, »ist in das Gebiet eingefallen, das unserem Herrn Vater, dem Sultan, untersteht.«
»Über das er offensichtlich wenig Macht besitzt!«, blaffte sofort Sundchak zurück. »Denn dieser El-Kamil schaltet und waltet dort nach
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