Der Kelim der Prinzessin
die angekündigte Karawane aus Täbriz mit dem Prunkstück, dem >Vater der Teppiche<, angelangt war.
Hulagu empfing die eintreffenden Gesandtschaften in seinem Audienzzelt, und der ihm als Geisel übersandte El-Aziz musste weiterhin als Page und Dolmetscher zwischen dem erhöhten Thron und den demütig im Kotau Verharrenden hin und her springen, und wenn es dem Oberhofmeister nicht schnell genug ging, dann setzte es auch mal Fußtritte für den Sohn des Sultans. Seine Stellung bei Hofe verschlechterte sich Tag für Tag, der verstrich, ohne dass von seinem Vater aus Damaskus die längst überfällige Unterwerfung eintraf. Der Erste Sekretär des Il-Khan, der arabischen Sprache durchaus mächtig, hatte dem Knaben bereits genüsslich ausgemalt, wie man mit einer Geisel verfahren würde, wenn sie ihren Zweck offensichtlich verfehlt habe. Sein Sterben würde sich lang hinziehen, um seinem dickköpfigen Vater bis zuletzt noch die Möglichkeit einzuräumen, ihm den Tod zu ersparen, doch erfahrungsgemäß würde das Opfer ihn herbeisehnen, so groß seien die Qualen. El-Aziz heulte vor Angst, doch das rührte den Mann, der das Ohr des Il-Khan besaß, nicht im geringsten, schließlich sei es einzig und allein An-Nasir, der mutwillig das Leben seines Sprösslings in eine solche Lage brächte. Ein denkbarer Ausweg sei höchstens, dass jemand den unmenschlichen Vater beseitigte. Dann wäre er, El-Aziz, Sultan von Damaskus und der Il-Khan würde mit
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großem Vergnügen seine Huldigung entgegennehmen. El-Aziz war verzweifelt. Er kannte niemanden, der eine solche Tat für ihn begehen würde. Von seinen Vettern kam niemand infrage, sie hätten jeder sofort den Sultansthron für sich beansprucht. Als eine letzte Möglichkeit kam ihm El-Kamil, der Fürst von Mayyafaraqin, in den Sinn, doch der schien nicht gewillt, sich in irgendeiner Form unterjochen zu lassen, ja, es ging sogar das Gerücht im Lager, er habe dem Gesandten des Il-Khan Ohren und Nase abgeschnitten, bevor er ihn
unverrichteter Dinge zu seinem Herrn zurückschickte. Ganz sicher würde sich El-Kamil jetzt nicht aus seinen Bergen herausbegeben, um für seinen Vetter El-Aziz die Kohlen aus der Damaszener Glutesse zu holen.
Aus der Chronik d es William von Koebruk
Wir saßen noch in der Taverne >Zum Letzten Nagel beim Weine des Patriarchen und betrachteten, was uns das Wesen-Spiel gebracht, kaum, dass der Letzte aus der Runde, wie immer der etwas arg bedächtige Patron Joshua, umständlich seine Steine aufgedeckt hatte.
»Stets verrät der geheime, dem Spiel innewohnende Sinn«, bemerkte unser Templer nach raschem Blick auf das gezeigte Bild, »auch viel über den Spieler, ganz gleich, ob er seine Steine nun geflissentlich suchte oder sie ihm zufielen.«
»Es gibt im Wesen-Spiel keinen Zufall«, setzte ich gerade zu einem altklugen Exkurs über Veranlagung und Bestimmung an, als draußen in der Gasse Stimmen laut wurden. Sollten sich Gäste in unsere versteckte Grotte verirren, oder fahndeten gelegentlich entsandte ägyptische Steuereintreiber nach Einkünften aus unangemeldeter Tätigkeit? Unser >Wirt<, Josh der Zimmermann, verschloss leise die schwere Luke, die hinabführte zum geheimen Stollen im Keller, und ebenso geräuschlos verschoben wir den schweren Tisch, bis er den Einlass verdeckte. David der Templer goss aus einem sonst selten benutzten Krug Wasser in un-6l
sere Becher, den mit dem Wein hatte Joshua sofort verschwinden lassen.
»Oh, meine Seele!«, zitierte Jalal al-Sufi lachend seinen geliebten Rumi. »Es geht in den Krieg!«, und machte Anstalten, mal wieder auf den Tisch zu steigen, woran ihn. diesmal David energisch hinderte. »Leg Deine Rüstung an, verbann Deine Furcht«, den kecken Mund ließ sich der Derwisch nicht verbieten. »Reiß mit kühnem Schlag dieser Welt die Maske herunter!«
»Tschitt!«, zischte der Zimmermann erbost und hob drohend seine gewaltige Pranke. Doch dann war unter den Stimmen draußen vor der Tür deutlich die einer Frau zu vernehmen, das sprach gegen Soldaten oder Büttel, und Jalal nahm seinen Rumi wieder auf. »Oh, meine Seele, ergib Dich jetzt nicht -« Er versuchte vergeblich, seinen Wein vor dem Verdünnen zu retten. »Es ist doch alles nur das übliche Spiel von Katz und Maus!«
Die Stimmen kamen näher, unser aller Augen richteten sich gespannt auf den schmalen Gang, durch den die Besucher die Taverne betreten mussten. Ein schlanker Knabe erschien im zai safari, der hellen Reisetracht, einen Scimtar um die
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