Der Kelim der Prinzessin
Zeit der Buße hier ein Ende hat.« Er hob seinen Pokal. »Ich bin bereit, dem Königlichen Paar zu folgen, wohin immer es mich führen mag!« Er trank William und dann auch Joshua zu.
»Denkt nicht«, raunzte ihn der Zimmermann an, »dass mein Herz sich der Freude verschließt.« Und in seiner bedächtigen Art setzte er leise hinzu: »Ohne euch macht mir das Warten auf das Ende meiner Tage im >Letzten Nagel< wenig Sinn. Also werde ich mit euch gehen.« Seine breiten Hände schoben die von Jalal ramponierte Stäbchenpyramide wieder in die rechte Form. »Weil wir-aber dann vielleicht nur noch selten so zusammensitzen werden, lasst uns jetzt mit dem Spiel beginnen«, forderte er die Freunde auf, »manchmal geben die >Drachen des Wesens< auch Hinweise auf das, was unserem Auge noch verborgen!«
»Der wahrhaft Gläubige ist dem Hoffenden gegenüber in dem Vorteil, dass er keine Enttäuschung zu befürchten hat«, sagte William und begann die ersten Stäbchen reihum auszuteilen.
Auf der wichtigsten Straße Syriens, die von Aleppo über Homs nach Damaskus führt, lagerte kurz hinter Hama das Heer der Mongolen. Den stark belebten Handelsweg selbst, Teil des Mündungsdeltas der alten Seidenstraße, hatten sie offen gelassen, die angrenzenden Dörfer verschont, um bei der Bevölkerung keine ungute Stimmung gegen sich aufkommen zu lassen, denn sie wünschten als Friedensbringer empfangen zu werden, als Stifter von Recht und Ordnung, so wie sie die Heilsbotschaft ihrer pax Mongolica sahen, und nicht als barbarische Eroberer.
Dass sie ihre Verpflegung mit Geldern aus den bereits vollzogenen Beutezügen bezahlten, störte sie ebenso 58
wenig wie die herbeiströmenden Karawanen, die ihnen bereitwillig alles zur Versorgung des Heeres Notwendige andienten.
Der alte Kitbogha, Oberkommandierender des Heeres, hatte seinen jüngsten Spross und - wie es Spätgeborenen oft beschieden - erklärten Liebling Baitschu dabei ertappt, wie er teilnahmslos zusah, dass andere Kinder des Feldlagers den wehrlosen Atabeg hänselten. Er rief ihn sofort an seine Seite.
»Er hat den erhabenen Il-Khan belogen!«, rechtfertigte sich der Knabe.
Sein Erzeuger war großmütig gestimmt. »Er hat vielleicht den Mund etwas zu voll genommen«, milderte er das Verdikt ab, was den Sprössling jedoch ermutigte, scherzend hinzuzufügen:
»Sonst war er nicht so fett!«
Dafür handelte er sich einen Stüber ein. »Gefangene verspottet man nicht!« Kitbogha besann sich kurz. »Du kannst sie über die Klinge springen lassen oder in die Sklaverei verkaufen, aber keine Scherze mit ihnen treiben.«
Das leuchtete Baitschu am Beispiel des armen Lulu zwar keineswegs ein, doch er war nachsichtig mit seinem betagten Vater und wechselte schnell das Thema. »Sagt mir, Herr Vater, was hat es mit dem Königlichen Paar auf sich, dessen Thron wir getreulich mit uns führen, das sich aber uns Mongolen nicht zeigt? Zumindest ich habe die Könige noch nie zu Gesicht bekommen!«
Das klang wie ein Vorwurf und traf den alten Kitbogha an einer empfindlichen Stelle. »Dazu bist du noch zu jung!«, gab er dem neugierigen Filius unbedacht heraus. »Der erhabene Großkhan hat sie erwählt, das Volk der Mongolen liebt sie.« Er seufzte tief. »Bereits seit langem ist ihnen die Herrschaft über den >Rest der Welt<, alles Land, das wir zu erobern im Begriff sind, bestimmt -«
»So sind der König und seine Frau Königin schon sehr alt und weise?«, fragte Baitschu tief beeindruckt und bald recht verwirrt, als der Feldherr in seine dröhnende Lache ausbrach.
»Roc Trencavel und die Prinzessin Yeza zählen grad' sechs Lenze mehr als du, mein Sohn, sie sind jung, schön und überaus mutig, doch kein bisschen weise! - Sie haben einen Dickkopf wie mein Sohn Baitschu - oder noch schlimmer - «
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In diesem Augenblick wurde der Oberkommandierende zum Il-Khan gerufen. Er gab seinem Filius einen aufmunternden Klaps und schritt auf das Zelt zu.
Der Il-Khan Hulagu hatte seine Generäle angewiesen, Botschaften vor allem zu den weiter entfernt herrschenden Fürsten zu entsenden, um sie zur Huldigung und damit zu Tributzahlungen zu veranlassen. Die näher liegenden Emirate, so war seine Rechnung, würden angesichts seines übermächtigen Heeres schon aus eigenem Antrieb ihre Unterwerfung anbieten. Als warnendes Beispiel war seit diesem Morgen der Atabeg von Mossul mitten im Lager ausgestellt. Der dicke Lulu saß bei Wasser und wenig Brot im Käfig, weil der dritte Tag verstrichen war, ohne dass
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