Der Keller
damit, Mrs. Pearsons?“
„ Ich meine damit, dass mir ein junger Mann gegenübersitzt, dessen Hände zittern wie die von diesem einen schwarzen Boxer, der zum Islam übergetreten ist. Sie wissen schon welchen ich meine, der mit der parkinsonschen Krankheit gestraft ist.“
„ Ali?“
„ Genau den habe ich gemeint“, sagte sie, „an ihn erinnern Sie mich. Und trotzdem erzählen Sie mir hier ein Seemannsgarn von Ratten und Gift, das Sie im Keller verteilt haben. Trotzdem! Obwohl Sie mittlerweile wissen, was in Ihrem Keller los ist.“
Roger sah sie nur an. Seine Zunge war taub und unterhalb seiner Hüfte fühle sich sein Körper an, als bestünde er zum Großteil aus Zuckerwatte.
„ Sie wissen es doch, oder?“, fragte Doris erneut. Ihr Blick ruhte auf ihm wie der Lauf einer Waffe.
„ Ich glaube ich habe…es…letzte Nacht gesehen. Es war kein Traum“, flüsterte Roger, „wissen Sie was das war?“
„ Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, Mr. Bonfield. Es gibt viele Gerüchte darüber, was so im Haus am Chestnut Peak vor sich geht.“
„ Sagen Sie es mir“, sagte Roger, „bitte.“
„ Ich werde es Ihnen erzählen. Aber zuerst setze ich noch einen Kaffee auf. Kaffee lockert die Zunge und fegt den Staub von alten Erinnerungen. Und glauben Sie mir bitte, wenn ich Ihnen sage, dass sich im Laufe der Jahre eine Menge Staub in meinem Oberstübchen angesammelt hat.“
18.
Nachdem der Kaffee fertig war, setzte sich Doris Pearsons zu Roger an den Tisch, goss ihm nach und begann zu erzählen:
„ Ihr Haus wurde von einem Mann Namens Joseph Randolph Roberts Ende der Zwanzigerjahre erbaut. Roberts hatte kurz vor der Weltwirtschaftskrise einen schönen Betrag geerbt und anstatt ihn in Boston oder New York zu verprassen, so wie es damals unter jungen Menschen üblich war, investierte er das Geld in Sägewerke in und rund um Rockwell. Die ganze Gegend lebte damals von der Holzwirtschaft. Wer damals ein Sägewerk besaß war ein reicher Mann, Mr. Bonfield. Joseph Roberts hatte über dreißig.
Von 1928 bis zum Ende des zweiten Weltkrieges war Roberts der größte Arbeitgeber im Umkreis von über hundert Meilen. Außer dem Arzt, dem Lehrer, dem Sheriff und dem Priester, arbeitete jeder Mann in der Stadt in irgendeiner Form für Roberts. Die Leute liebten ihn wegen seiner Großzügigkeit und wegen seiner sanften Art.
Einmal soll er einen seiner Buchhalter dabei erwischt haben wie er Geld aus einer Kasse stahl. Das waren andere Zeiten damals, Mr. Bonfield. Roberts hätte durchaus das Recht gehabt den Mann an Ort und Stelle zu erschießen, müssen Sie wissen. Doch stattdessen ging Roberts auf den Dieb zu, griff in seine Westentasche und holte seine goldene Taschenuhr statt seines Revolvers hervor. Er gab sie dem Dieb in die Hand und sagte ihm, dass er sie auch noch nehmen solle wenn er wolle. Ich bin mir sicher, er hätte ihm auch seine Weste gegeben, wenn der Dieb diese verlangt hätte, weil er so ein gottesfürchtiger Mann war. Doch soweit kam es natürlich nicht: Denn der Mann, der ihn noch einen Augenblick zuvor bestehlen wollte, ging weinend auf die Knie, küsste Roberts Hand, wie den Siegelring des Papstes und bat ihn um Vergebung. Und wissen Sie was Roberts tat? Er vergab ihm. Er vergab ihm an Ort und Stelle, können Sie sich das vorstellen?
Es mag sich dabei vielleicht nur um eine Geschichte handeln, Mr. Bonfield, aber dennoch können Sie sich bestimmt denken, worauf ich hinaus will. Roberts war nicht nur unermesslich reich, er war auch klug. Manchmal kommt es nämlich vor, dass ein Mensch in eine Zeit hineingeboren wird, in die er nicht hineinpasst, wie in den Schuh eines Fremden. Roberts hingegen war das absolute Gegenteil. Seine Klugheit, seine Tüchtigkeit und sein Geschick sorgten dafür, dass er innerhalb weniger Jahre zu einem der reichsten Männer in ganz Neuengland wurde.
Doch Roberts war noch viel mehr als das – er war auch ein großer Wohltäter. Denn Roberts war wahrscheinlich der einzige Grund dafür, dass Rockwell auch in den Jahren der Wirtschaftskrise nie wirklich am Hungertuch nagte. Während die ganze Wirtschaft im Land ins Bodenlose stürzte, fuhr sein Unternehmen riesige Gewinne ein. Die Leute gingen damals nicht mehr in die Großstadt, um nach Arbeit zu suchen – sie kamen nach Rockwell und meist nicht umsonst. An der Grenze zu Harlow, dort wo jetzt die neue Highschool ist, wuchs innerhalb kürzester Zeit eine Arbeitersiedlung aus dem Boden, wie weiße Pilze aus
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