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Der Keller

Der Keller

Titel: Der Keller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dersch
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geliebt und nachdem sie von ihm gegangen war, war es zu seiner Aufgabe geworden seinen Sohn zu lieben und für ihn zu sorgen. Doch manchmal kann das Unglück beharrlich sein, Mr. Bonfield. Manchmal wartet es Jahre und Jahrzehnte, schwebt unsichtbar über den Häuptern der Menschen bevor es zuschlägt – wie ein Bussard, der sich ein Kücken holt.
    Roberts Unglück begann als sein Sohn Walter ungefähr zehn oder elf Jahre alt war. Zu dieser Zeit ging mit dem Jungen eine Veränderung vor, müssen Sie wissen. Erst wurde das Bürschchen sehr nachdenklich und irgendwie zu reif für sein Alter. Erst ähnelte er einem Greis im Kinderkörper und dann begann er auch noch sich komisch zu benehmen. Wenn er auf der Straße vorbei lief, bedachte er einen manchmal grundlos mit einem bösen Blick. Ich meine nicht, dass er die Augenbrauen zusammen zog und einen böse ansah so wie es Kinder manchmal taten, nein. Ich will damit sagen, dass aus seinen Augen der pure Hass starrte, so als würde er einem am Liebsten an Ort und stelle den Kopf abreißen. Manchmal konnte man diesen Blick auch im eigenen Rücken spüren wie die kalte Spitze eines Bajonetts, die sich einem langsam zwischen die Schulterblätter bohrte. Schwangere Frauen begannen sich vor diesem Blick zu fürchten und wechselten die Straßenseite, wenn sie Walter in der Stadt sahen. Sie hatten Angst davor, dass ihre Ungeborenen davon Schaden nahmen. Irgendwie war Walter, wie soll ich sagen, unheimlich geworden.
    Diese Phase dauerte ungefähr ein Jahr, Mr. Bonfield. Walter fehlte immer öfter in der Schule und nach einer gewissen Zeit ging er gar nicht mehr hin. Ich unterrichtete damals die zweite Klasse und bekam deshalb alles genau mit. Es hieß, er sei schwer erkrankt und brauche eine Auszeit, in der er sich von seinem Leiden erholen konnte. Weil Roberts Vater auch ein schweres Lungenleiden gehabt hatte, dichteten die Leute auch ein Lungenleiden an. Einmal Walter immer Walter, sagten die Leute manchmal wenn sie über Roberts Spross und seine Krankheit sprachen.
    Doch bereits damals glaubte ich nicht mehr all die Geschichten, die Roberts über seinen Sohn erzählte. Sie müssen wissen, dass Walter bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ein kleiner Junge war, kein zierliches kleines Kind mehr. Denn bereits im Alter von vierzehn Jahren überragte er seinen Vater und im Gegensatz zu seinen frühen Jahren hatte er sehr viel Gewicht zugelegt. Irgendeine Veränderung war mit ihm vorgegangen. Und auch Roberts hatte sich verändert. Er war dünn geworden, sodass ihm seine einstige Kleidung nicht mehr passte. Sie flatterte an ihm wie Wäsche an der Leine. Und er war stark gealtert. Mit Ende Fünfzig sah er beinahe zwanzig Jahre älter aus. Seine Wangen waren eingefallen und die Sorgenfalten auf seiner Stirn waren zu tiefen Furchen geworden, in die der Kummer seine Saat gepflanzt hatte, wie ich meine. Alle vermuteten, dass sich Walters Zustand verschlechtert haben musste, aber es gab einen Mann in der Stadt, der es besser wusste: Doktor Peter Harris, den damaligen Arzt von Rockwell.
    Mein Mann Francis war zu jener Zeit Deputy gewesen und er und Dr. Harris hatten sich im Laufe der Jahre miteinander angefreundet. Die Praxis von Dr. Harris war genau neben der Polizeiwache und aus Nachbarn wurden eben irgendwann Freunde, Mr. Bonfield. In einer kleinen Stadt wie Rockwell freundet man sich schnell an und damals bestand Rockwell gerade einmal aus einer geteerten Straße. Jeder kannte jeden und die meisten waren miteinander befreundet – so auch Dr. Harris und mein Mann.
    Eines Nachts hatten die beiden wohl das eine oder andere Gläschen zu viel gepichelt und Dr. Harris hat Francis erzählt, was es mit Walter auf sich hatte. Francis hat es mir danach erzählt, so wie er mir alles erzählt hatte, nachts wenn wir nebeneinander in der Dunkelheit lagen, zu wach um zu schlafen und zu müde, um es nicht zumindest zu versuchen.
    Dr. Harris hatte Francis unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, dass Walter etwas ganz besonderes war. Walter war ein so genannter Hermaphrodit – er war mit beiderlei Geschlecht zur Welt gekommen. Ein Zwitter wie aus dem Lehrbuch, Mr. Bonfield. Laut Dr. Harris, der bei seiner Geburt anwesend gewesen war, hatte er sowohl das eine als auch das andere, wie Kinder zu sagen pflegen. So etwas war damals eine Sensation und ich denke, dass es heutzutage auch nicht gerade oft vorkommt. Naja, zumindest war es aus dem medizinischen Standpunkt aus betrachtet eine

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