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Der Keller

Der Keller

Titel: Der Keller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dersch
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Pferdemist.
    Roberts war eine Berühmtheit, Mr. Bonfield. Es liegt daher auf der Hand, dass er sich vor Verehrerinnen kaum erwehren konnte. Wäre ich damals nicht bereits mir Mr. Pearsons verheiratet gewesen, ich hätte wahrscheinlich auch zu denen gehört, die ihm parfümierte Liebesbriefe geschickt hatten. Denn es war nicht nur sein Reichtum, der ihn attraktiv machte. Er war ein gut aussehender Mann – mit seinen nachdenklichen Augen und dem schönen Lächeln. Wenn er die Main Street entlang ging, blieben alle jungen Frauen einen Augenblick lang stehen, um einen Blick auf ihn zu ergattern.
    Doch was Frauen anging, so hatte er sich genau so gut im Griff, wie bei seinen Geldgeschäften. Er hatte eine absolut reine Weste und war kein Herzensbrecher. Bis eben die richtige kam, wie man so schön sagt. Außerdem war er zum Zeitpunkt der Heirat bereits Mitte Vierzig und wie jeder andere Mann auch begann er wahrscheinlich darüber zu grübeln, was wohl mit seinem Unternehmen und dem ganzen Hab und Gut passieren würde, wenn er nicht mehr war.
    Emily Worthington war die Tochter des Bankdirektors von Rockwell. Sie war nicht nur klug, sondern auch wunderschön. Sie arbeitete bei ihrem Vater in der Bank, die im Laufe der Jahre zu so etwas wie Roberts zweitem Wohnzimmer geworden war und im Nachhinein betrachtet war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis die beiden sich kennen lernten.
    Ihre Hochzeit war ein riesiges Fest, zu dem die ganze Stadt geladen war. Die Leute sprachen noch Jahre danach davon. Am Tag danach verreiste das frisch getraute Paar in die Flitterwochen nach New York und als die beiden einen Monat später zurückkamen, war Emily Worthington Roberts schwanger. Neun Monate später brachte sie ein Kind zur Welt. Sie starb während der Geburt, Mr. Bonfield. Ich kann mich immer noch genau daran erinnern wie traurig alle Bewohner der Stadt waren, als sie davon hörten.
    Ich möchte nicht sagen, es komme mir vor wie gestern – das ist albern. Aber wenn man erst einmal so alt ist wie ich, dann ist die Zeit nicht mehr eine gerade Linie, Mr. Roberts. Sie ist vielmehr wie ein schlampig zusammengelegtes Tischtusch – mit Höhen und Tiefen, mit Flecken und ausgefransten Rändern. Oder vielleicht ist es nicht die Zeit von der ich spreche, sondern die Erinnerung an die Zeit.“
    Doris hielt einige Augenblick inne, so als versuchte sie ihre Gedanken von neuem zu ordnen wie ein vergilbtes altes Kartenspiel. Als ihre rissige Stimme verstummte, war es im Raum plötzlich ungewöhnlich still. Nirgends war ein Geräusch zu hören und es kam Roger vor, als hätte sich eine kosmische Ruhe über die Welt gelegt, wie eine schwere Decke.
    Er wusste nicht worauf die alte Frau hinaus wollte. Er konnte sich nicht vorstellen inwiefern die Geschichte des Hauses mit dem zusammenhing, was er letzte Nacht in seinem Keller erlebt hatte. Obwohl Doris immer noch gedankenverloren und mit glasigem Blick auf das Kaffeeservice blickte, glaubte er zu wissen, wie die Geschichte enden würde. Sie würde ihm sagen, dass es im Haus spuckte.
    Roger fand die Vorstellung absurd und begann sich langsam Sorgen darüber zu machen, in welchem geistigen Zustand sich Doris Pearsons befand. In ihrem Alter wäre Senilität und ein gewisses Maß an geistigem Durcheinander nicht ungewöhnlich gewesen. Je mehr er darüber nachdachte, desto unangenehmer wurde ihm die Situation. Er entschloss sich dazu zu gehen und suchte nach einem Vorwand, als die Stimme der alten Frau wieder erklang, um die Geschichte zu Ende zu bringen:
    „ Das Kind von Roberts hieß Walter. Das war der Name von Roberts gewesen, glaube ich. Walter war ein aufgewecktes Bürschchen und entwickelte sich prächtig, wie man so schön sagt. Obwohl die meisten Menschen in der Stadt behaupteten er sei seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, so ähnelte er in meinen Augen vielmehr seiner Mutter. Er hatte ihre blasse, noble Haut. Ihre zierliche Statur und ihre blauen Augen.
    Roberts hatte es nie in Erwägung gezogen den Jungen auf ein Internat nach Boston oder New York zu schicken. Vielmehr ging Walter in der Stadt in die Schule und wohnte mit seinem Vater im Hause am Chestnut Peak. Roberts hatte den Tod seiner Frau zwar nach einigen Jahren verwunden, aber dennoch nie wieder geheiratet.
    Manchmal reißt das Unglück so große Löcher in die Seele eines Menschen, das zehn Leben nicht ausreichen würden, um die Löcher zu stopfen. Ich glaube, dass es bei Roberts genau so war. Er hatte seine Frau über alles

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