Der Keller
Sensation. Für Roberts war es natürlich eine Katastrophe. Er hatte seine Frau verloren und hielt nun ein Kind in Armen, dass weder Sohn noch Tochter war – eine Missbildung, eine Missgeburt. Eine üble Laune der Natur.
In jener Nacht trafen Roberts und Dr. Harris eine Entscheidung, Mr. Bonfield. Sie entschieden sich, dass es für das Kind das Beste wäre, wenn das Problem rund um sein Geschlecht so schnell wie möglich gelöst wurde. Ich jedoch glaube, dass es sich dabei um das Beste für Roberts handelte und nicht für das Kind. Jedenfalls machten sie aus dem Zwitterwesen einen Sohn, weil Roberts einen Erben brauchte und weil es für ihn als allein erziehenden Vater leichter gewesen war einen Sohn groß zu ziehen. Er war ein praktisch veranlagter Mensch und tat es nur dem Kind zulieben. Trotzdem lernt man im Leben manchmal, dass auch vermeintlich gute Taten schreckliche Konsequenzen haben können.
Fragen Sie mich bitte nicht, wie sie das taten. Ich kann mir nur vorstellen, dass Dr. Harris in jenen Tagen eine Menge Dinge gemacht haben musste, für die er auf Lebenszeit seiner Zulassung als Arzt verloren hätte. Ich glaube auch, dass diese Dinge nicht innerhalb eines Eingriffs erledigt wurden. Das muss sich über Wochen und Monate gezogen haben und ich glaube auch, dass es nur möglich gewesen ist, weil das Haus am Chestnut Peak so weit außerhalb der Stadt gelegen war. Dem Wesen wurde All das genommen, was ihn von einem richtigen Jungen unterschied. Wie sie das machten, das wird wohl auf immer und ewig das Geheimnis von Roberts und Harris bleiben. Sie mussten gedacht haben, dass ihr Werk erfolgreich gewesen war – immerhin entwickelte sich Walter zu einem aufgeweckten kleinen Jungen, wie ich schon sagte. Doch über all die Jahre hinweg hatte das Unglück über dem Haus am Chestnut Peak gethront. Irgendwann, es muss mitten im Krieg gewesen sein, begann das Leben in der Kleinstadt die ersten Risse zu bekommen.
Der Wahnsinn begann in den Wäldern. Es häuften sich Gerüchte, dass in den Wäldern immer öfter verstümmelte Tiere gefunden wurden – Rehe, mit abgerissenen Ohren, Waschbären, denen jemand den Schwanz abgeschnitten hatte. Damals gab es zwar keine Tierschutzorganisationen Mr. Bonfield, dennoch gefiel den Leuten der Gedanke nicht, dass in ihrer Mitte jemand lebte, der zu all diesen Taten imstande war.
Natürlich waren all diese Waldtiere nur die Vorboten von dem, was noch kommen sollte. Es war im Mai 1944 als die Kühe auf der McCain – Farm begannen saure Milch zu geben. Erst eine, dann einigen und irgendwann alle. Die Tiere waren verstört, so als hätte ihnen jemand oder etwas eine Mordsangst eingejagt. Sie rührten ihr Futter kaum noch an und muhten die ganze Nacht. Ich habe wegen der Schreie der Kühe nächtelang wach gelegen, Mr. Bonfield. Ihre Schreie hallten durch die ganze Stadt. Obwohl inzwischen über sechzig Jahre vergangen sind, werde ich immer noch unruhig wenn ich eine Kuh muhen höre.
Doch die Farm der McCains war nur die erste Farm. Bald gaben auch die Kühe der Andersons und der Muellers saure Milch. Die Bauern bekamen Angst, dass es sich dabei um eine Krankheit handelte. Da es damals in Rockwell keinen Tierarzt gab, ließen sie extra einen aus Lewiston anreisen. Es kostete sie ein Vermögen, aber die Kühe waren alles was sie hatten. Wenn die Kühe gestorben wären, dann hätten die McCains, die Andersons und die Muellers ebenso gut betteln gehen können.
Schließlich kam der Tag, an dem der Tierarzt in Rockwell auftauchte und das Vieh der drei Farmer untersuchte. Seine Diagnose war schrecklich, Mr. Bonfield: Viele der Tiere waren geschändet worden. Sie können sich nicht vorstellen welch ein Aufschrei wegen dieser Nachricht durch die Stadt ging. Jeder beäugte seinen Nächsten fortan so, als könnte es sich bei ihm um die Bestie handeln, die zu so etwas fähig war. Die Farmer hingegen setzten sich wochenlang mit Gewehren auf die Lauer. Sie blieben nächtelang wach und spähten von ihren Heuböden nach Eindringlingen, die sie an Ort und Stelle erschießen konnten. Doch der Täter ließ sich nicht blicken. Stattdessen erschoss Robert Mueller versehentlich Frederick Barnes, einen stadtbekannten Säufer aus Harlow.
Barnes war sternhagelvoll mitten in der Nacht über Muellers Grundstück gelaufen und der hatte ihn für den Tierschänder gehalten, der es erneut auf seine Kühe abgesehen hatte. Mueller wurde daraufhin sieben Jahre eingesperrt – seiner Frau starb während seiner
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