Der Ketzerlehrling
enttäuscht und beunruhigt den Kapitelsaal verließ, wobei er den grauen Kopf schüttelte und die weiten, ausgefransten Ärmel seines Gewandes ihn umflatterten wie einen kleinen, zerzausten Vogel.
Bruder Cadfael begab sich vom Kapitel aus zu seiner Arbeit im Garten, die schäbige kleine Gestalt noch vor dem geistigen Auge. Vater Elias war ein Pedant, aber er gab nicht so leicht auf. Irgendwo und irgendwie mußte er seine Überzeugung begründen, daß Aldwin im Zustand der Gnade gestorben war, und dann würde er dafür sorgen, daß seiner Seele der ganze Trost und Beistand zuteil wurde, den die Kirche zu bieten hatte.
Aber er hatte es bereits bei jedem Priester in der Stadt und in der Vorstadt versucht, und bisher vergeblich. Und er war kein Mann, der einfach die Augen schließen und so tun konnte, als wäre alles in bester Ordnung; sein Gewissen hatte einen stahlharten Kern und würde ihm keine Ruhe lassen, wenn er ohne einen überzeugenden Grund von seinen Maßstäben abging. Cadfael empfand Mitgefühl sowohl für den auf Perfektion bedachten Priester als auch für das abtrünnige Mitglied seiner Gemeinde. In diesem Moment schien ihm ihr Fall sogar Vorrang zu haben vor Elaves mißlicher Lage. Elave war sicher genug untergebracht, bis Bischof Roger de Clinton entschied, was mit ihm geschehen sollte. Er konnte seine Zelle zwar nicht verlassen, aber es konnte auch kein Übereifriger eindringen und versuchen, ihm abermals den Kopf einzuschlagen. Seine Wunden verheilten, die blauen Flecke verblaßten, und Bruder Anselm, Vorsänger und Bibliothekar, hatte ihm den ersten Band der »Confessiones« des heiligen Augustinus gegeben, damit er sich die Zeit vertreiben konnte.
Und damit er feststellen konnte, hatte Anselm gesagt, daß Augustinus sich auch mit anderen Themen als Prädestination, Verdammnis und Sünde beschäftigt hatte.
Anselm war zehn Jahre jünger als Cadfael, ein magerer, tatkräftiger, begabter Mann, in dem noch immer ein Körnchen ununterdrückbaren Mutwillens steckte, auch wenn es gewöhnlich nicht zum Vorschein kam. Cadfael hatte vorgeschlagen, er sollte Elave doch lieber Augustinus’ »Gegen Fortunatus« zu lesen geben. Dort hätte er, geschrieben einige Jahre vor den wesentlich orthodoxeren Äußerungen des Heiligen in einer Periode stark schwankender Überzeugungen, lesen können: »Es gibt keine Sünde außer durch den eigenen Willen des Menschen, und deshalb beruht der Lohn, wenn wir das Rechte tun, gleichfalls auf unserem eigenen Willen.« Sollte Elave sich diesen Satz merken und ihn zu seiner Verteidigung zitieren! Es war mehr als wahrscheinlich, daß Anselm seinem Vorschlag folgen und den Verdächtigen mit allen Zitaten versorgen würde, die seiner Sache dienlich sein konnten. Es war ein Spiel, das jeder belesene Student der Kirchenväter spielen konnte, und Anselm konnte es besonders gut.
So war Elave für einige Tage, auf jeden Fall so lange, bis Serlo seinen Bischof in Coventry erreicht hatte und mit seiner Antwort zurückgekehrt war, sicher aufgehoben, und er konnte diese Zeit auch brauchen, um sich von der groben Mißhandlung zu erholen. Aber Aldwin, der tot war und begraben werden mußte, konnte nicht warten.
Cadfael konnte nicht umhin, sich zu fragen, wie es Hugh bei seinen Erkundigungen in der Stadt ergangen sein mochte. Er hatte ihn seit dem Morgen des Vortages nicht mehr gesehen, und die Entdeckung des Mordes hatte das Zentrum des Geschehens von der Abtei auf das weite, dichtbevölkerte Feld der weltlichen Außenwelt verlagert. Auch wenn die eigentlichen Wurzeln des Falles innerhalb dieser Mauern lagen, in der dunklen Wolke der Ketzerei, und wenn der offensichtlich Tatverdächtige hier in Gewahrsam gehalten wurde, mußten dort, außerhalb der Mauern, die letzten Stunden von Aldwins Leben ausgefüllt werden; und in der Stadt und der Vorstadt gab es Hunderte von Leuten, die ihn gekannt hatten, die ihm vielleicht einen alten Groll oder neuen Zorn entgegenbrachten, gespeist von Dingen, die mit der Anklage gegen Elave nicht das mindeste zu tun hatten. Und was Elave betraf, gab es einige schwache Punkte, die Hugh bestimmt selbst gesehen hatte und nicht zugunsten der einfachsten Antwort beiseite schieben würde. Nein, die Sache mit Aldwin war das vordringlichere Problem.
Nach dem Mittagessen, in der zur Erholung freigegebenen halben Stunde, begab sich Cadfael in die Kirche, in die beruhigende steinerne Kühle, und stand mehrere Minuten stumm vor dem Altar der heiligen Winifred. In
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