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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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nur ein kurzer Besuch, vom Nachmittag eines Tages bis zum Anbruch der Dunkelheit am nächsten, aber was ist, wenn wirklich jemand bei ihm erschien, um zu beichten?«
    »Er hat nichts davon erwähnt, bevor er aufbrach?« fragte Cadfael.
    »Er hatte es eilig, vor ihm lag ein Weg von vier Meilen. Ich habe ihn nicht danach gefragt. Er war sehr stolz, daß er meinen Platz einnehmen durfte, er hat die Komplet für mich abgehalten.
    Es wäre möglich!« sagte Boniface. »Es ist zwar nur eine geringe Chance, aber immerhin denkbar. Sollten wir uns nicht vergewissern?«
    »Das können wir tun«, sagte Cadfael erfreut, »sofern er sich noch in Reichweite befindet. Aber wo sollen wir jetzt nach ihm suchen? Vier Meilen, sagtet Ihr? Das ist keine große Entfernung.«
    »Er ist der Neffe von Vater Eadmer in Attingham und wurde nach seinem Onkel benannt. Allerdings weiß ich nicht, ob er noch bei ihm ist. Bis jetzt hat er noch keine eigene Pfarre. Ich würde gehen«, sagte Boniface zögernd, »aber dann wäre ich bis zur Vesper nicht zurück. Wenn es mir früher eingefallen wäre …«
    »Macht Euch deswegen keine Sorgen«, sagte Cadfael. »Ich bitte den Vater Abt um Erlaubnis und gehe selbst. Aus einem solchen Grund wird er sie mir nicht verweigern; es geht um das Heil einer Seele. Und bei dieser warmen Witterung«, fügte er praktisch hinzu, »ist Eile geboten.«
    Es war seit mehr als einer Woche der erste Tag, an dem eine leichte Bewölkung aufgezogen war; doch bis zum Abend hatte sich die Wolkendecke wieder aufgelöst. In die Vorstadt hinauszutreten, mit dem Segen des Abtes hinter sich und einer Vier-Meilen-Wanderung vor sich, war ein reines Vergnügen, und das Fernweh, das Cadfael nie ganz losgeworden war, regte sich verstärkt, als er die Straßengabelung bei Saint Giles erreichte und auf den nach Attingham führenden Weg einbog.
    Es gab Zeiten, in denen die alte Wanderlust wieder aufflackerte, und die Tatsache, daß er erst drei Monate zuvor, im März, einen Auftrag sogar außerhalb der Grenzen der Grafschaft erledigen mußte, hatte sie eher angeregt als gestillt.
    Er hatte feststellen müssen, daß es ihm ebenso schwerfiel, das Gelübde der Beständigkeit zu halten, so feierlich er es auch abgelegt hatte, wie das des Gehorsams, mit dem Cadfael schon immer die größten Schwierigkeiten gehabt hatte. Er freute sich über die Freiheit dieses Nachmittages – eine gerechtfertigte Freiheit zudem, da er sie mit Erlaubnis und zu einem ganz bestimmten Zweck unternahm und genoß sie als erfrischende Abwechslung.
    Zu beiden Seiten der Straße zog sich ein breiter, grasbewachsener Randstreifen hin, auf dem man weich und bequem laufen konnte. Wegen des Wolkenschleiers war es nicht zu heiß, die Wiesen rechts und links der Straße waren grün, voller Blumen und schwirrender Insekten, und im Gebüsch und an den Rändern der Felder lärmten selbstbewußt die Vögel, um Rivalen zu vertreiben – und ihre erste Brut war bereits flügge und probierte die Flügel aus. Cadfael wanderte zufrieden auf dem grünen Bankett dahin, und das Gras strich ihm kühl und seidig um die Knöchel. Wenn der Ausgang ebenso erfreulich war wie der Weg, dann würde jeder Schritt mit doppeltem Vergnügen belohnt werden.
    Vor ihm, hinter den ebenen Feldern, erhob sich der bewaldete Rücken des Wrekin, und wenig später erschien in einiger Entfernung zu seiner Linken der Fluß, der sich näher heranwand, bis er schließlich dicht neben der Straße verlief, ein sanfter, harmloser Strom zwischen flachen, grasbewachsenen Ufern, allem Anschein nach nicht imstande, irgendwelches Unheil anzurichten. Doch die Einheimischen wußten es besser und hüteten sich, ihm zu trauen. Hier gab es Vieh auf den Weiden und Wasservögel im Schilf an den Ufern. Und bald konnte er hinter einer Biegung des Severn auch den massigen, quadratischen Turm der Gemeindekirche von Saint Eata sehen und die niedrigen Dächer des Dorfes, das sie umgab. Ein Stück weiter links gab es eine Holzbrücke, aber Cadfael steuerte direkt auf die Kirche und das danebenstehende Haus des Priesters zu. Hier war der Fluß zu einem Labyrinth aus grünen und goldenen Untiefen ausgefächert und ließ sich bei diesem sommerlich niedrigen Wasserstand leicht durchqueren. Cadfael steckte seine Kutte hoch, watete hindurch und genoß die Kühle des Wassers.
    Im Laufe der Jahre hatten so viele Leute Sommer um Sommer den Fluß hier durchquert, anstatt die Brücke zu benutzen, daß sie einen schmalen, sandigen Pfad ausgetreten

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