Der Ketzerlehrling
hatten, der am jenseitigen Ufer über die grasbewachsene Ebene zwischen dem Fluß und der Kirche zum Haus des Priesters führte. Hinter dem blaßroten Gestein der Kirche und dem verwitterten Holz der bescheidenen Gebäude in ihrem Schatten wuchs ein Kreis aus alten Bäumen, die Schutz vor dem Wind boten und die Hälfte des kleinen Gartens beschatteten. Vater Eadmer hatte sein Amt hier schon seit vielen Jahren inne und bearbeitete seinen Garten liebevoll. Die Hälfte davon lieferte Gemüse für seinen Tisch und, wie es aussah, noch einen Überschuß zum Aufbessern des Speisezettels seiner ärmeren Nachbarn. Die andere Hälfte war ein hübscher kleiner Blumengarten, in dem ein kurzer, von wildem Thymian überwucherter Erdwall als Sitzbank diente.
Und hier saß Vater Eadmer in seiner Mittsommerpracht, ein massiger, solide gebauter Mann mit einem Brevier, das ungeöffnet auf seinen Knien lag, und sein Gewicht ließ bei jeder Bewegung eine Aureole aus Duft um ihn herum aufsteigen. Vor ihm war ein junger Mann damit beschäftigt, den Boden zwischen Reihen von jungem Kohl zu hacken; seine Tonsur, umgeben von einem dichten Ring lockigen Haars, gab Cadfael, als er näher herankam, die Gewißheit, daß er den Weg nicht umsonst gemacht hatte. Er konnte sich also zumindest erkundigen, auch wenn die Antworten enttäuschend ausfielen.
»Ja, gibt es das!« sagte der ältere Eadmer und richtete sich so unvermittelt auf, daß ihm fast sein Brevier vom Schoß gefallen wäre. »Seid Ihr das, wieder auf Wanderschaft?«
»Nicht weiter als bis hierher«, sagte Cadfael, »jedenfalls diesmal.«
»Wie geht es diesem armen jungen Bruder, den Ihr im Frühjahr bei Euch hattet?« Und Eadmer rief über die Gemüsebeete hinweg dem jungen Mann mit der Hacke zu:
»Laß das jetzt, Eddi, und hole Bruder Cadfael einen Becher Ale. Bring gleich den ganzen Krug mit!«
Der junge Eadmer legte die Hacke beiseite und eilte ins Haus. Cadfael ließ sich neben dem Priester auf der grünen Bank nieder.
»Er ist wieder bei seinen Federn und Pinseln und leistet gute Arbeit. Seine Reise hat ihm nicht geschadet, im Gegenteil, er ist sogar in einer besseren geistigen Verfassung. Sein Gehvermögen bessert sich, langsam, aber es bessert sich. Und wie ist es Euch ergangen? Ich habe gehört, daß der junge Mann Euer Neffe ist, erst kürzlich zum Priester geweiht.«
»Vor einem Monat. Jetzt wartet er ab, was der Bischof mit ihm vorhat. Der Junge hatte das Glück, ihm aufzufallen; das kann sich zu seinen Gunsten auswirken.«
Als der junge Eadmer mit einem Holztablett mit Bechern und Krug zurückkehrte und sie mit ungezwungener Anmut bediente, zweifelte Cadfael nicht daran, daß dieser junge Priester jedes aufmerksame Auge auf sich ziehen mußte; er war hochgewachsen, gut aussehend und sich dieser Vorzüge glücklicherweise überhaupt nicht bewußt. Sobald er sie versorgt hatte, ließ er sich zu ihren Füßen ins Gras sinken – einer jener glücklichen Menschen, deren Zuversicht und Furchtlosigkeit bewirken, daß sich die Dinge immer zum Besten ordnen und rauhe Straßen sich in ebene Weiden verwandeln. Cadfael fragte sich, ob diese Natur für andere, weniger glückliche Seelen ebensoviel ausrichten konnte.
»Die Zeit, die ich damit verbringe, hier bei Euch zu sitzen und Euer Ale zu trinken«, gestand Cadfael mit leichtem Bedauern, »ist, so angenehm sie auch ist, leider gestohlene Zeit. Ich habe einen Auftrag zu erfüllen, der nicht warten kann, und sobald er erledigt ist, muß ich zurück. Und bei diesem Auftrag geht es um Euren Neffen.«
»Um mich?« sagte der junge Mann und schaute überrascht auf.
»Ihr habt doch Vater Boniface besucht, zum Fest der Grablegung der heiligen Winifred? Und habt Euch vom Nachmittag des Vortages bis nach der Komplet am Feiertag bei ihm aufgehalten?«
»Das habe ich. Wir waren zusammen Diakone«, sagte der junge Eadmer und reckte sich hoch, um ihre Becher wieder zu füllen, ohne vom Gras aufzustehen. »Warum? Habe ich etwas verlegt, als ich mich umkleidete? Ich werde ihn noch einmal aufsuchen, bevor ich von hier fortgehe.«
»Er mußte Euch den größten Teil dieses Tages allein lassen, von nach der Morgenmesse bis nach der Komplet. Ist in dieser Zeit irgend jemand zu Euch gekommen, der Rat suchte oder Euch bat, ihm die Beichte abzunehmen?«
Die offenen braunen Augen richteten sich nachdenklich auf ihn, jetzt sehr ernst. Cadfael konnte aus ihnen die Antwort ablesen, noch bevor Eadmer sagte: »Ja. Ein Mann hat das getan.«
Es
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