Der Killer im Lorbeer
ein. Ein Blinder! Unter allen Möglichkeiten ausgerechnet diese. Gwendolyn Perry hatte sich entschieden, ihr künftiges Leben mit einem Blinden zu teilen. Einem Mann ihres Alters und, seiner Kleidung nach zu schließen, gut situiert. Ein sanfter Mensch. Wie gewann er ihr Herz? Welche Saite brachte er in ihr zum Klingen, dass sie diese weitreichende Entscheidung traf? Wie lernten sie sich kennen? Wie gelang es Gwen, die große Umwälzung in ihrem Leben geheim zu halten? Weshalb hatte keiner ihrer Kommilitonen, kein Lehrer, wieso hatte selbst Mrs Lancaster den Mann, der Gwendolyn glücklich machte, nie zu Gesicht bekommen? Ein Blinder auf dem Campus hätte auffallen müssen. Ein Blinder an der Seite der schönen jungen Frau wäre das Gesprächsthema gewesen. Wieso machte Miss Perry keinem, der ihr nahestand, eine Andeutung, außer Mrs Lancaster? Sogar Gwens Mutter in Birmingham wusste nichts von dem Mann.
»Gwendolyn Perry ist vergangenen Dienstag gestorben«, sagt Rosemary. »Sie wurde ermordet. Es tut mir sehr leid, Mr Talbot.«
Wenn Rank ein Moos ist, wie ich behauptet habe, kann Rosy nun beobachten, wie das Moos verwelkt. Der junge Mann verwandelt sich förmlich, wird kleiner, er sinkt in sich zusammen. Kein Wort, kein Laut des Schmerzes, keine Tränen treten in seine Augen.
Was sieht er jetzt?, denkt Rosy. Was dringt zu ihm in die Finsternis? Gwendolyn, wie er sie zuletzt im Arm hielt, ein glücklicher Moment, den sie teilten? Wie verdunkelt sich die Welt von jemandem, der nur die Dunkelheit kennt?
Rosy setzt sich nicht hinter den Schreibtisch, sie holt ihren Stuhl und nimmt Talbot gegenüber Platz. »Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen?«
Er schüttelt den Kopf. Rosemary nimmt kurzerhand seine Hände, die leblos auf den Knien liegen.
»Jetzt verstehe ich vieles«, sagt er nach einer Weile des Schweigens.
Rosy wartet ab.
»Als sie sich nicht meldete, als ich sie nirgends erreichen konnte, war ich beunruhigt. Mehr als das. Ich dachte –« Ein tiefer Atemzug. »Wenn einem Mann wie mir dieses Glück geschenkt wird … Ich wurde misstrauisch. Ich habe an Gwendolyn gezweifelt.« Er richtet den Blick dorthin, wo er Rosy weiß. »Tausende Meilen lagen zwischen uns. Als jedes Lebenszeichen von ihr ausblieb, dachte ich, sie hat ihre Meinung geändert. Ihr ist bewusst geworden, wie ungewöhnlich ein Paar wie wir sein würden. Sie will es rückgängig machen, dachte ich, und weiß nicht, wie sie es mir sagen soll.«
»Konnten Sie Gwendolyn nicht vertrauen?«
»Wir kannten uns erst so kurz. Was wusste ich denn schon von ihr?«
»Sagen Sie mir, was Sie von ihr wussten.«
»Gwendolyn war unglücklich. Ich glaube, in allem,
was sie tat. Sie wollte für jemand anderen da sein, aber sie hasste den Gedanken zu unterrichten. Sie mochte Kinder und fühlte sich doch nicht dafür geschaffen, Horden von Kindern zu beaufsichtigen. Gwendolyn war auf der Suche nach dem Richtigen in ihrem Leben, konnte es aber nicht finden.«
»Wieso glaubte sie, es bei Ihnen zu finden?«
»Das habe ich mich selbst gefragt. Sie war so schön. Selbst ohne Augenlicht konnte ich das sehen. Sie erzählte mir, dass die Männer hinter ihr her waren und anscheinend nicht nur Männer.«
»Was empfand sie dabei, begehrt zu sein? Wie ging sie damit um?«
»Sie hasste es. Gwen wusste nicht, wie sie aus dem Teufelskreis herauskommen, wie sie sich dagegen wehren sollte, dass die Menschen sie umschwärmten.« Eine kurze Pause. »Wie ist sie gestorben, Inspector?«
Rosy schildert es so sachlich wie möglich. Talbot atmet mehrmals ein und aus. Sein Kinn zittert.
»Haben Sie irgendeinen Verdacht, wer imstande wäre, so etwas zu tun?«
»Alle«, antwortet er.
»Das verstehe ich nicht.«
» Die führen sich auf, als wären sie verrückt nach mir «, antwortet er. »Das waren Gwens Worte.«
»Können Sie Namen nennen?«
»Ich kenne die Namen ihrer Studienkollegen nicht. Sie sprach von einer Mrs Lancaster. Sie sprach von einem Studenten namens Jimmy .«
»Jimmy – James Ogilvy?«
»Ich glaube, ja. Sie sprach auch von ihrem Vermieter.«
»Mr Hobbs?«
Der junge Mann nickt. »Er soll harmlos gewesen sein, nannte sie aber seine Fee und verglich sie mit einem Wesen, dem sich keiner nähern dürfe. Gwen war das unangenehm. Sie wollte ausziehen.«
»Hat Mr Hobbs versucht, zudringlich zu werden?«
»Nein, nichts Körperliches. Gwen sagte: Er sabbert ständig um mich rum.«
»Erwähnte sie auch ihren Tutor, Mr Gaunt?«
»Ja.« Talbot überlegt.
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